Rezension: Heimkehren von Yaa Gyasi


Manchmal finde ich es etwas übertrieben, wenn ein Buch schon kurz nach Erscheinen als nächster moderner Klassiker gehandelt wird. Doch jetzt nach meiner Lektüre von “Heimkehren” von Yaa Gyasi kann ich diese Einschätzung besser verstehen. Dieses Buch erzählt eine wirklich große Geschichte, beziehungsweise 14 kleine, große Geschichten. Zwei Schwestern im Ghana des 18. Jahrhunderts, die sich nie kannten, sind die Mütter zweier Zweige einer Familie, die sich über die Jahrhunderte ebenso unterschiedlich wie dramatisch entwickeln.

Effia und Esi sind Töchter der selben Mutter, doch schlagen die gegensätzlichsten Wege ein. Während Effia einen weißen Soldaten der britischen Kolonialmacht heiratet, wird Esi als Sklavin nach Amerika verkauft. Die Kinder und Kindeskinder dieser beiden Frauen werden durch diese unterschiedlichen Lebenswege in völlig verschiedene Welten geworfen.

Ich habe wirklich versucht ein Muster, eine Struktur in der Entwicklung der Familien zu erkennen, es ist mir nur schwer gelungen. Es gibt immer wieder Verbindungen von einer Generation in die nächste und jede Etappe des Romans, jeder Zweig der Familie, wird deutlich durch den Vorhergehenden geprägt. Trotzdem entwickelt sich nicht eine Seite durchweg positiv oder durchweg negativ, vielmehr trudeln beide Familien, durch die Kolonialisierung Ghanas aus der Bahn geworfen, mit einigen Hürden durch die Jahrhunderte.

Die Idee ist nicht neu und doch ist der Gedanke, in diesem Roman der Reihe nach eine Generation nach der anderen zu Wort kommen zu lassen, für diese Thematik wirklich großartig. Es wird gezeigt, wie die Geschichte eines Kontinents auch etliche Jahre später das Schicksal so vieler Menschen prägen kann. Natürlich ist hier auch Rassismus ein Thema. Gerade dann wenn auch Generationen nach dem Ende der Sklaverei noch Mitglieder der Familien auf Grund ihrer Hautfarbe in neues Elend gestürzt werden. Nicht ihre Identität zählt, sondern ihre Herkunft. So wirkt sich die Dramatik der Gefangennahme Esis auch im Leben ihrer Urahnen weiter aus.

“Heimkehren” kommt ohne viel Afrika-Folklore aus und macht (für mich) gerade deswegen den Eindruck auch die Wurzeln der Geschichte authentisch zu erzählen. Je weiter es dann in der Geschichte voranschreitet, desto sachlicher und moderner wird das Buch in seinem Ton, die Figuren bleiben völlig unterschiedlich und absolut glaubhaft. Ein Buch mit ganz eigener Kraft und obwohl es in erster Linie nicht politisch ist, zu keinem Moment den erhobenen Zeigefinger präsentiert, regt es immer wieder zum Nachdenken an. Unbedingt lesen!

 

“Heimkehren” von Yaa Gyasi, übersetzt von Anette Grube, erschienen im Dumont Verlag, 416 Seiten, 22,00 € (Hardcover)

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6 Comments

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  1. 1
    Buchstabenträumerin

    Hi ihr beiden,
    das klingt sehr interessant. Mit Ghana bin ich zwar nicht sehr vertraut, doch anderen Teile von Afrika kenne ich gut, daher finde ich das Thema wichtig und offenbar gut verarbeitet. Danke für diesen Tipp!
    Habt einen schönen Abend!
    Liebe Grüße,
    Anna

  2. 3
    Lena

    Hi,

    ich stimme deiner Einschätzung da unbedingt zu. Heimkehren habe ich letztes Jahr im englischen Original gelesen und war absolut begeistert. Meiner Meinung nach müssten viel mehr Leute dieses Buch kennen!

    LG
    Lena

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