Rezension: Der Garten der verlorenen Seelen von Nadifa Mohamed


Über Somalia wusste ich bisher beschämend wenig. Ich wusste, dass es ein Land am Horn von Afrika ist. Man hört von Piraten und Flüchtlingen, sieht Bilder von völlig überfüllten Flüchtlingslagern und großem Elend in den Nachrichten. Die Menschen bleiben trotzdem weitestgehend gesichtslos.

Das bedrückt mich und ich weiß, dass das auch kein Buch ändern kann. Trotzdem nutze ich Bücher, um mehr über Länder und Menschen zu erfahren, die ich sonst nie erreichen könnte.

Ich habe nun also literarisch Somalia bereist

„Der Garten der verlorenen Seelen“ von Nadifa Mohamed erzählt die Geschichte dreier Frauen am Vorabend des Bürgerkriegs. Eines Bürgerkriegs, der seit seit 1988 tobt. Das heißt ein Mensch in Somalia, der im selben Jahr wie ich geboren wurde, hat mit mittlerweile dreißig Jahren nichts anderes als Krieg erlebt. Kannst du dir das vorstellen?

In „Der Garten der verlorenen Seelen“ liegt dieser furchtbare Bürgerkrieg bereits in der Luft. Wie bei einem nahenden Gewitter sind die Anzeichen zu sehen, die Atmosphäre knistert elektrisch und die Menschen versuchen sich noch gerade eben in Sicherheit zu bringen.

Vor dieser Kulisse begegnen uns drei starke Frauenfiguren

Dequo ist neun Jahre alt, wurde in einem Flüchtlingslager geboren und von ihrer Mutter dort zurückgelassen. Das Mädchen schlägt sich auf der Straße durch, kennt weder Zuhause noch Familie.
Kawsar ist eine ältere Witwe, ihre einzige Tochter bereits vor Jahren verstorben. Nach einem Unfall bleibt Kawsar schwerverletzt und bettlägerig zurück. Sie sieht ihr Leben als beendet, lebt eigentlich nur noch in ihren Träumereien an die Vergangenheit.
Filsan ist eine junge Soldatin, Tochter eines hohen militärischen Würdenträgers und Hoffnung der Armee. Ihre Figur steht im Spannungsfeld aus Härte, Strenge und dem Wunsch nach Liebe und Geborgenheit.

Die Schicksale dieser drei Frauen, die ebenso unterschiedlich wie spannend charakterisiert werden, treffen im Roman aufeinander. Es ist kein langsames Verweben, sondern kurze, plötzliche Kollisionen. Diese Kollisionen schaffen eine Gemeinschaft, ein Bündnis um zu Überleben.

„In Mogadischu sind die ältesten Wohnhäuser aus Korallengestein, sie besitzen feines Gitterwerk aus Holz und Gewölbedecken, die einen mit Staunen erfüllen.“

Aber wir erfahren auch etwas über den Alltag in Somalia in der Zeit vor dem Bürgerkrieg, über Freundschaften und helfende Nachbarinnen. Geschichten aus einer fernen, schönen Welt. Aber auch diese Abschnitte waren für mich nicht ganz frei von Schrecken, werden auch Themen wie die weibliche Beschneidung und der Stellenwert der Frau in der Gesellschaft angerissen. Spannend ist, dass das hier nicht mit erhobenem Zeigefinger passiert und die einzelnen Figuren trotzdem eindeutig Position beziehen.

Sprachlich hat mich der Roman völlig überzeugt. Er lebt von feinen, atmosphärischen Beschreibungen und abwechslungsreichen Dialogen. So ist die Geschichte spannend zu lesen, wird nur selten gebremst von Einschüben über die politische Situation in Somalia, und trägt doch die ganze Schwere der Lage dieses Landes.

„Ein Blick auf das Lager macht deutlich, wie sehr Somalia in diesem Krieg gedemütigt worden ist, ein paar Kilometer entfernt besitzen diese Menschen ein Land, ein Zuhause, Höfe, hier leben sie von Grütze.“

Am Ende kehrt im Roman alles zurück zu diesem furchtbaren Krieg, der Somalia so sehr zerrissen hat. Der aus einem schönen, stolzen Land, eine Hölle macht, in der ein Menschenleben nicht mehr viel zählt. Manche der Beschreibungen waren schon fast zu viel für mich, die Vorstellung was die Menschen dort durchleben müssen, kann ich kaum ertragen. Jeder Flüchtende, der es schafft dem zu entkommen, sollte uns willkommen sein.

 

„Der Garten der verlorenen Seelen“ von Nadifa Mohamed, übersetzt von Susann Urban, erschienen im dtv Verlag, 272 Seiten, 12,90 € (Taschenbuch)

1 comment

Add yours

+ Leave a Comment