Rezension: Alles still auf einmal von Rhiannon Navi


Jedes Mal, wenn wieder von einem „mass shooting“ oder einem Amokläufer in den USA berichtet wird, beginnen reflexhaft die öffentlich verkündeten „Gebete“ für die Opfer. Hin und wieder demonstrieren Menschen für schärfere Waffengesetze. Beinahe nie werden diese Waffengesetze auch politisch thematisiert.
So ist in den USA eine Gesellschaft entstanden, in der schon Vorschüler lernen müssen, eine Fehlzündung am Motorrad oder einen umgekippten Blecheimer von einem Schuss zu unterscheiden. Kinder müssen lernen unter Tischen Deckung zu suchen und im entscheidenden Moment vor einem Amokläufer unsichtbar zu werden.
Als ihr kleiner Sohn sich vor einem lauten Geräusch erschreckte und unter dem Küchentisch in Deckung vor einem „Attentäter“ ging, wurde der Autorin Rhiannon Navin bewusst, wie krank diese Gesellschaft ist.

In ihrem Roman „Alles still auf einmal“ lässt sie nun einen kleinen Jungen die Geschichte eines Amoklaufs erzählen. Wie er erst das plop-plop-plop der Maschinenpistole nicht einordnen kann, später dann jedes plop-plop-plop mitzählt und still wird im Angesicht der Gefahr. Sein Bruder wird erschossen und so wird mit dem plop-plop-plop einer Waffe auch gleichzeitig die Auflösung einer Familie eingeläutet.

Dieses Buch war für mich unfassbar hart zu lesen und gleichzeitig von einem besonderen Sog. Die naive Sicht eines so jungen Kindes steht im harten Kontrast zur Handlung des Romans. Zach, die erzählende Stimme des Romans, versteht sehr viel von dem was um ihn herum passiert nicht. Auf der anderen Seite ist Zach bei Weitem nicht so ahnungslos, wie die Erwachsenen um ihn herum glauben. So entsteht eine Erzählung aus einer seltsam distanzierten und doch nahen Beobachterperspektive.

Es geht in diesem Roman offenkundig natürlich um Waffengewalt und das Leid, welches sie verursacht. Es geht aber auch um Trauer allgemein. Wie kann eine Familie weiterleben, der ein Familienmitglied so plötzlich entrissen wurde?
Es war für mich schwer zu ertragen, wie die Familie durch diesen kurzen Moment zersetzt wird. In Ihrer Trauer finden sie zum Teil einfach nicht mehr zueinander. Sie wirken wie isoliert. Gemeinsam mit Zach werden wir emotional durchgeschüttelt. Wie er seinen Bruder mal unglaublich vermisst. Aber auch mal ganz realistisch betrachtet, dass der ihn ja eigentlich immer nur geärgert hat, gab mir beim Lesen so eine dumpfes Unwohlsein. Wirklich eine ganz besondere Erzählung.

Ich hatte spannende und nachdenkliche Stunden mit diesem Buch und kann es allen Lesern empfehlen, die sich dieser emotional schweren Kost gewachsen sehen.

„Alles still auf einmal“ von Rhiannon Navi, übersetzt von Britta Mümmler, erschienen im dtv Verlag, 384 Seiten

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