Rezension: Die Nickel Boys von Colson Whitehead


Eigentlich wollte ich dieses nur 220 Seiten starke Buch gemütlich zwischendurch lesen. Die Worte “gemütlich” und “zwischendurch” passen aber definitiv nicht zu “Die Nickel Boys” von Colson Whitehead. Nachdem ich das erste Kapitel beendet hatte, war ich einfach unendlich traurig.
In diesem schmalen Buch steckt eine unglaublich bewegende, wuchtige Geschichte. Es geht um Rassismus, Gewalt und um die kleinen Momente, die unserem Leben eine ganz neue Richtung geben können.

Der sechszehnjährige Elwood, die Hauptfigur des Romans, scheint trotz aller Widrigkeiten mit seiner Zielstrebigkeit zum Erfolg zu kommen. Er ist ein schwarzer Junge aus einfachen Verhältnissen, arbeitet aber immer hart und lernt fleißig. Schließlich bekommt er einen Platz am College, seine Träume scheinen wirklich wahr zu werden.
Obwohl es so gut aussieht, geht im letzten Moment alles schief. Elwood gerät durch einen Zufall in ein gestohlenes Auto und sie werden angehalten. Schuldlos landet Elwood schließlich in einer Besserungsanstalt für Jungen, dem Nickel.

Es wird mich noch ewig beschäftigen, wie das Leben dieses Jungen durch einen blöden Zufall so furchtbar an die Wand gefahren wird. Das Buch basiert zwar nicht exakt auf wahren Begebenheiten, orientiert sich aber sehr stark an einer wahren Geschichte. Es ging mir einfach wahnsinnig unter die Haut. Zu lesen, wie noch Anfang der Sechzigerjahre mit Jungen wie Elwood umgegangen wurde, ist wirklich hart.

Und dieser Rassismus ist ja nicht einfach ausgestorben. Er wurde weitergelebt und weitergegeben. Auch wenn wir das nicht wollen und alles versuchen uns davon abzugrenzen, wurde jeder von uns durch Rassismus beeinflusst. Auch heute noch, 60 Jahre später, ist es wichtig sich mit Rassismus zu beschäftigen und mit den Menschen, die davon betroffen sind, zu solidarisieren. Das geht schon damit los, dass ich ganz lange nicht wusste, welches Wort das richtige ist, um über People of Color zu schreiben. Dabei ist es doch ziemlich einfach, sich darüber zu informieren.

Colson Whitehead schafft es durch die Figur des Elwood perfekt, den Leser mit Rassismus zu konfrontieren. Von Anfang an mag man Elwood. Er ist sympathisch, obwohl er ein kleiner Streber ist. Er wirkt liebenswert in seinem Wissensdurst und wie einer dieser Jungs, die man gern als Nachbarn hätte. Ihn dann in einer Umgebung wie der Besserungsanstalt Nickel zu sehen, tut fast schon körperlich weh. Elwood wirkt in dieser Welt so fehl am Platz, dass man auch beim Lesen das Gefühl hat, da passt ganz viel nicht zusammen. Es fühlt sich alles nicht richtig an, aber das soll so sein.
Es ist leicht sich von Rassismus zu distanzieren und Ausreden zu suchen, wenn es vermeintlich die bösen Jungs trifft. Die, die auf der Straße rumhängen oder auch schon mal ein Verbrechen begehen. Wenn die schlecht behandelt werden, „ist das ja schon irgendwie nicht gut“. Aber „hätten die sich halt einfach mal ferngehalten von dem ganzen Mist“. Das Thema wird achselzuckend abgetan. In “Die Nickel Boys” wird gezeigt, dass es nicht immer das Problem der schwarzen Jungs ist, die sich daneben benehmen, sondern einer Gesellschaft die sie vorverurteilt. Das Buch erzählt davon, wie man alles richtig machen kann und trotztdem scheitert. Eine unbequeme Wahrheit, die man sonst eher ausblendet.

Als wäre all das nicht genug, hat mich die Geschichte am Ende noch mal richtig in den Magen geschlagen. Ein Twist dieser Geschichte tut wirklich weh und gibt dem ganzen Buch einen bitteren Beigeschmack. Aber genau diese emotionale Wirkung, die Wucht mit der mich die Geschichte getroffen hat, hat mich am Ende noch so begeistert. Ein starkes Buch und eine unbedingte Leseempfehlung!

 

„Die Nickel Boys“ von Colson Whitehead, übersetzt von Henning Ahrens, erschienen im Hanser Literaturverlag, 224 Seiten

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