#buchpreisbloggen „Kintsugi“ von Miku Sophie Kühmel


“Kintsugi” ist die japanische Kunst zerbrochenes Porzellan zu reparieren und die Bruchkanten mit Gold zu veredeln. Eine Tradition, die auch die Schönheit im Unperfekten sieht und den Wert von Brüchen und vermeintlichen Makeln wertschätzt. Ich hätte mir keine schönere Metapher für den Titel von Miku Sophie Kühmels Roman vorstellen können und freue mich, dieses Buch beim #buchpreisbloggen zum Buchpreis 2019 vorstellen zu dürfen.

Die Handlung von “Kintsugi” beschränkt sich komplett auf ein einziges Wochenende, erzählt aber auch die Geschichte des Lebens und der Beziehungen von vier spannenden Charakteren. Da sind Max und Reik, die an diesem Wochenende in ihrem Ferienhaus an einem See in der winterlichen Uckermark ihre langjährige Beziehung feiern wollen. Max ist Professor der Archäologie, introvertiert und sehr geradlinig, er findet Ruhe und Sicherheit in einer gewissen Ordnung. Reik ist ein Künstler, seine Gemälde wild und seine Plastiken roh, für Ordnung hat er wenig Sinn. Die Beziehung zwischen diesen beiden ungleichen Figuren ist komplex, im ständigen Wandel und voller Spannung. Sie unterstützen sich, reiben sich aneinander, bremsen sich und bestärken sich.
Bei ihnen sind Tonio und seine erwachsene Tochter Pega, welche seit vielen Jahren befreundet und eng verbunden mit dem Paar sind. Tonio, engster Freund und ehemaliger Liebhaber von Reik, welcher in seinem Leben vor großen Veränderungen zu stehen scheint und Pega, die noch ganz am Anfang ihres Studiums steht, erleben gerade erste Brüche im Gefüge ihrer sonst soliden Vater-Tochter-Beziehung.

Das Motiv der Scherben und Brüche ist es, was den ganzen Roman durchzieht. Es werden (Um-)Brüche im Leben der Figuren thematisiert, Brüche in ihren Beziehungen, Porzellan geht zu Bruch. Diese metaphorischen und ganz konkreten Brüche werden mal sofort gekittet, bleiben mal noch offen und verursachen Schmerz.

Miku Sophie Kühmel lindert den Schmerz in ihrem Roman mit ihren wunderschönen Sätzen. Und auch der menschliche Körper vollzieht übrigens sein ganz eigenes Kintsugi. Nach einem Knochenbruch bildet sich die Bruchstelle durch die neu gebildete Knochenmasse häufig besonders stark aus. Wir gehen aus einer Verletzung gestärkt hervor. Und genau diese Wertschätzung für erlittene Verletzungen und durchstandene Krisen kommt in der Geschichte immer wieder zum Ausdruck.

“Doch meistens ist aus jeder Kiste und Krise etwas gewachsen, worauf ich heute nicht mehr verzichten will.”

Ein weiteres Thema des Romans ist die Elternschaft und Familie in ihren verschiedenen Aspekten. Egal ob Tonio, der, jung Vater geworden, sich völlig über seine Vaterrolle identifiziert, Pega, die immer wieder gefragt wird, ob sie nicht doch eine Mutter vermisse, oder Reik, der vielleicht gern einmal ein Vater wäre, Elternschaft ist für sie alle ein Thema.

Wie die Männer zu ihren Müttern stehen und Pegas Beziehung zu ihren drei (Wahl-)Vätern, bietet viel Raum für Interpretationen. In meinen Augen war besonders die doch eher unwichtige Position der Mütter spnannend, die, obwohl sie ihre Söhne allein großzogen, keine allzu bedeutende Rolle in deren Leben mehr spielen.

“In dem Versuch, aus allem eine logische, am besten noch poetische und lehrreiche Geschichte zu bauen, verklären wir die Dinge.”

Der Roman wird wechselnd aus den Perspektiven der vier Charaktere erzählt, durchbrochen von Kapiteln, die wie in einem Kammerspiel ihre Interaktionen sezieren. Es ist toll gelungen, wie der Eindruck, den man von den Figuren bekommt, sich wieder dreht, sobald man sie aus den Augen der anderen erblickt. Manchmal hat der Roman dabei eine ganz eigene, irgendwie ungewollte Komik. Wenn zum Beispiel die Position einer Teeschale auf dem durchgestylten Sideboard genutzt wird, um dem Partner einen Streich zu spielen. Schöner könnte man den übertriebenen Ordnungswillen eines Protagonisten kaum verdeutlichen. Und doch ist es nicht allein Max‘ Ordnungsliebe, die ihn anhält die Teeschale genau in diese Position zu stellen. Denn nur in dieser einen Position ist der feine Riss verdeckt, der noch die Geschichte eines früheren Sturzes der Schale erzählt und Max in ganz anderem, wesentlich stärkeren Licht erscheinen lässt.

Miku Sophie Kühmel schreibt ganz still, sehr getragen und lässt Raum für eigene Gedanken. Manchmal verleitet ihr Stil fast ein bisschen zu sehr dazu, sich in den Gedanken der Figuren und den wunderschönen sprachlichen Bildern zu verlieren.

“Sie fragte nie viel zurück, aber die Pausen in unseren Gesprächen, Stille wie Treibsand, verrieten mir, dass sie eigentlich etwas erwartete.”

So schön dieser Stil ist, mich stört ein wenig, dass sich in den einzelnen Abschnitten die Stimmen nicht deutlich unterscheiden. Wer gerade spricht lässt sich oft nur an der Perspektive auf die anderen oder das eine oder andere sprachliche Thema erkennen. Irgendwie gibt einem das aber auch das Gefühl, dass die Figuren bei all ihren Unterschieden doch sehr ähnlich, einander eng verbunden sind.

Am Ende steht ein Bruch, den man kommen sieht und doch hofft, dass er nicht passieren wird, der dieses Buch beendet. Ich blieb ganz still, viel zu traurig und doch zufrieden zurück. Denn auch wenn ich diesen Figuren sofort und vollumfassend ihr persönliches Happy End gewünscht hätte, ist auch in diesem letzten Bruch schon der goldene Lack zu erahnen, der später doch noch alles kitten wird.

“In eine Richtung, die er nicht kennt, auf lange Sicht aber immer voran.”

 

„Kintsugi“ von Miku Sophie Kühmel, erschienen im S. Fischer Verlag, 304 Seiten

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