Über den schwäbischen Fight Club, Lost Places und das Schreiben – Interview mit Kai Wieland


Übermorgen erscheint sein neues Buch „Zeit der Wildschweine“ bei Klett-Cotta, vorab durfte ich schon mal ein paar Fragen stellen. Kai Wieland erzählt von Filmen, der Faszination für verlorene Orte und dem Schreiben. Ich freue mich, dass ich euch diesen sympathischen Autor hier vorstellen kann!

 

Alexandra: Lieber Kai, Danke dass ich dir ein paar Fragen stellen darf! Damit meine Leser*innen auch wissen, um wen und was es hier genau gehen soll, kannst du vielleicht kurz etwas zu dir und deinem neuen Buch sagen?

Kai Wieland: Gerne! Mein Name ist Kai Wieland, ich bin Autor und Redakteur und lebe imschwäbischen Backnang, wo ich auch geboren und aufgewachsen bin. Zwischendurch habe ich in München Buchwissenschaft studiert, mittlerweile arbeite ich hauptberuflich für ein Verlagsbüro in Stuttgart und betreue dort verschiedene Publikationen redaktionell, unter anderem diverse Reise- und Wanderführerreihen. Im Jahr 2017 habe ich am Blogbuster-Wettbewerb teilgenommen und das Finale erreicht. Dort wurde ich von Klett-Cotta „entdeckt“, im Jahr darauf erschien dann mein Debütroman „Amerika“.
„Zeit der Wildschweine“ ist mein zweiter Roman. Er handelt von dem jungen Reisejournalisten Leon, der gemeinsam mit dem Fotografen Janko in Frankreich Lost Places erkundet. In einem zweiten Handlungsstrang setzt sich Leon mit seiner Familie, dem Suizid seiner Mutter und dem Haus, in welchem er aufgewachsen ist, auseinander. Das Grundthema ist Leons Hin- und Hergerissenheit zwischen seinem medial geprägten Wunsch nach Selbstverwirklichung und den Verpflichtungen gegenüber seiner Familie.

Alexandra: Dein Roman enthält – gerade zu Beginn – jede Menge Anspielungen auf Filme. Warum ist das so? Welche Filme sollte man dringend gesehen haben, um deinen Roman maximal zu genießen?

Kai Wieland: Ein zentraler Wesenszug Leons ist seine ständige Ausrichtung an medialen Vor- und Zerrbildern. Seine Vorstellung von der Suche nach Identität ist stark durch die Literatur und vor allem Filme beeinflusst, und dasselbe gilt für seine Art, Geschichten zu erzählen. Leon denkt und deutet cineastisch, und das spiegelt sich in den Vergleichen und Erzähltechniken, die er verwendet. Augenfällig ist natürlich der Film „Fight Club“, der Leons Verhältnis zu Janko konkret prägt, sowie die Filme von Christopher Nolan (Memento, The Prestige, Dunkirk…). Es gibt auch Bezüge zu Trainspotting und Abbitte,allerdings denke ich, dass keiner der Filme „Pflicht“ ist, um den Roman zu lesen. Wie es aber mit Referenzen nun einmal so ist: Sie eröffnen Deutungsspielräume.

Alexandra: Inwieweit hast du dich selbst beim Schreiben von Filmen inspirieren lassen? Hatten sie einen großen Einfluss darauf, wie du die Szenen oder Figuren entwickelt hast?

Kai Wieland: Das kann ich eigentlich ganz pauschal mit „Ja“ beantworten, weil ich grundsätzlich beim Schreiben einen Film im Hinterkopf laufen habe. Ich frage mich oft, ob sich ein bestimmtes Bild gut auf einer Leinwand inszenieren lassen würde oder mit welcher Musik ich es hinterlegen könnte –natürlich nicht berechnend in der Hoffnung, dass mein Buch eines Tages verfilmt wird, sondern weil es mir ganz einfach hilft, meine eigenen Gedankengerüste mit Leben zu füllen. Bei den „Wildschweinen“ kommt natürlich dazu, dass ich die Erzählgewalt in die vertrauensvollen Hände des Cineasten Leon gelegt habe: Es war naheliegend und hat auch Spaß gemacht, ihn seine Leidenschaft durch Worte ausleben zu lassen.

Alexandra: Ich finde den Anfang des Romans ganz großartig! Wie Leon im Boxclub in der Provinz auf diesen harten, rätselhaften Janko trifft, ist einerseits so sehr “Fight Club” und andererseits meilenweit davon entfernt. Wieviel Tyler Durden steckt in Janko?

Kai Wieland: Erstmal vielen Dank, sowohl für das Kompliment als auch für die Frage, denn es ist eine ganz zentrale für den Roman. Sie führt letztlich zu der Überlegung, wie zuverlässig der Journalist Leon als Erzähler agiert – und inwiefern sein Blick durch die mediale Vorprägung getrübt ist. Zweifellos projiziert er viel Tyler Durden in Janko hinein, ob nun bewusst oder unbewusst. 

Alexandra: Trotz der Anlehnung an Filme, beschäftigst du dich im weiteren Verlauf des Romans eher mit Fotografie und dem Schreiben. Wo siehst du da die größte Gemeinsamkeit beziehungsweise den größten Unterschied?

Kai Wieland: Ich bin ein großer Bewunderer der Fotografie, habe selbst aber keinerlei Talent dafür – es muss also einen Unterschied geben, der allerdings schwierig zu benennen ist. In beiden Fällen geht es schließlich darum, das Besondere im Alltäglichen zu entdecken und festzuhalten, eine Geschichte herauszulocken und die richtige Perspektive zu finden. Die Fotografie lässt dem Betrachter dabei viele Freiheiten, das Schreiben schafft hingegen Kontext. Ehrlich gesagt finde ich sie gerade in der Kombination spannend. 

Alexandra: Im Roman gibt es eine Szene, in der die beiden Protagonisten während der goldenen Stunde unterwegs sind und dieses einmalige Licht zum Fotografieren nutzen. Gibt es so einen idealen Moment, in dem beinahe alles gelingt, auch beim Schreiben?

Kai Wieland: Leider nein! Jedenfalls nicht zuverlässig. Für mich persönlich funktioniert der frühe Morgen, also etwa zwischen sechs und acht, tendenziell am besten. Es hängt aber auch immer ein wenig von der Passage ab, an welcher ich gerade sitze – manchmal kommt man nur nachts oder in einer besonderen Stimmung weiter. Das Abpassen der „goldenen Stunde“ ist beim Schreiben also eine recht vage Sache.

Alexandra: Warum bewegen sich deine Figuren eigentlich an so vielen verlorenen Orten? Was fasziniert dich an Lost Places? Gibt es einen bestimmten Lost Place, den du gern mal besuchen würdest?

Kai Wieland: Ich bin immer ein wenig zwiegespalten, wenn es um Lost Places geht. Einerseits hat dieses Durchstöbern und Erkunden vergessener und verfallenerGebäude etwas Obszönes, immerhin handelt es sich oft um Orte mit düsterer oder tragischer Geschichte, einigen wohnt auch tatsächlich noch eine gewisse Intimität inne. Andererseits kann auch ich mich der Faszination dieser Lost Places nicht entziehen. Sie sprechen wohl einfach meine melancholische Seite an. Besuchen würde ich gerne einmal die Villa, in der das Coverfoto der „Wildschweine“ aufgenommen wurde – es war Liebe auf den ersten Blick!

Alexandra: Als würde all das thematisch noch nicht reichen, spielt auch die Familie und das Finden seines Platzes im Leben eine große Rolle in deinem Buch. Wie passt das zusammen?

Kai Wieland: Leons Drang nach Selbstverwirklichung – und im übertragenen Sinn sein Drang hinaus in die Welt – ist nur eine Seite seiner Persönlichkeit. Das Gegengewicht dazu stellen seine Bindung an die schwäbische Heimat und die Verpflichtungen der Familie gegenüber dar. Diese Zerrissenheit zwischen zwei Polen ist Leons Grundkonflikt, deshalb haben beide Handlungsstränge ihren Platz im Roman.

Alexandra: Über deinen Roman haben wir jetzt viel gesprochen, daher zum Abschluss noch etwas ganz anderes: welches schwäbische Wort sollten wir dringend in unseren Wortschatz aufnehmen?

Kai Wieland: Tja, ein schöner Gedanke, aber die Tendenz deutet ja leider eher in die Gegenrichtung: Wie bei den meisten Dialekten verschwinden auch im Schwäbischen von Generation zu Generation mehr Eigenbegriffe aus dem Alltagswortschatz. Während mein Vater etwa noch vom „Ebiera-Salat“ spricht, heißt es für mich einfach banal Kartoffelsalat. Ich spreche zwar dialektgefärbt, verwende aber nur noch wenige „exklusiv schwäbische“ Begriffe. Dabei kann man auf Schwäbisch großartig Leute beleidigen, ohne wirklich bösartig zu sein: „Lodl“, „Klufamichl“, „Bachl“, „Daggl“ … und eh klar: Das inflationäre Verniedlichen von Dingen zeugt von unserem liebenswürdigen und großherzigen Naturell. Gell?

Alexandra: Ach, eine Frage noch, weil wir gerade bei deinem besonderen Naturell sind ;) … hast du ein außergewöhnliches Talent, mit dem du alle beeindrucken kannst?

Kai Wieland: Ich habe einmal den gesamten Text von Billy Joels „We didn’t start the fire“ auswendig gelernt, und zwar nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass ich bei Sing Star mal dazu aufgefordert werde, ihn zu singen. Ich glaube, außer Billy und mir kann das auf der ganzen Welt sonst keiner.

 

Fotos von Denny Müller @ Unsplash.com
Autorenfoto von Wolfgang Irg

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