Zwei Romane von Tayari Jones – Doppelte Begeisterung


Vor wenigen Wochen habe ich eine neue Autorin für mich entdeckt. Die Chancen stehen ziemlich gut, dass du nur wissend nicken wirst, wenn ich jetzt davon berichte, dass ich völlig in den Büchern von Tayari Jones abgetaucht bin. Immerhin stand ihr 2019 erschienener Roman “In guten wie in schweren Tagen” eine ganze Weile in den Bestsellerlisten. Die Autorin wurde in den USA über Nacht berühmt, als erst Oprah Winfrey den Roman in ihrem “Ophra’s Book Club” und dann auch noch Barack Obama auf seiner “Summer Reading List” empfahlen. Sicher waren es unter anderem diese begeisterten Stimmen, die dem Buch auch in Deutschland zu einem tollen Start verhalfen. (Und jetzt weiß ich, dass es auch einfach wahnsinnig gut erzählt ist). Der Roman stand im letzten Jahr schon eine Weile auf meiner Leseliste. Wie das manchmal so ist, hab’ ich es dann aber doch nicht geschafft ihn zeitnah zu lesen.

Am 24.07.2020 ist nun der nächste Roman “Das zweitbeste Leben” beim Arche Verlag erschienen und wieder hat mich seine Beschreibung unglaublich gereizt. Diesmal dachte ich mir “Was soll’s?” und habe direkt beide Bücher am Stück gelesen. Und wirklich genossen!

Tayari Jones wurde 1970 in Atlanta geboren und studierte Englisch am Spelman College, der University of Iowa und der Arizona State Univeristy. Es ist kein Zufall, dass diese Frau ihr Handwerk – die Sprache – beherrscht.
Es gibt übrigens noch zwei nicht übersetzte Bücher von Tayari Jones (Lieber Arche Verlag, könnt ihr die noch veröffentlichen, Bitte?), die ich nun unbedingt noch lesen möchte.

Aber heute gibt es hier erst mal kurze Eindrücke zu den beiden bisher in der Übersetzung erschienen Romanen dieser tollen Autorin

Das zweitbeste Leben

James Witherspoon hat zwei Töchter. So weit, so normal. Doch er hat auch zwei Frauen und da wird es jetzt kompliziert. Denn James Witherspoon ist Bigamist. Zwar weiß seine zweite Ehefrau Gwendolyn (quasi die “Nebenfrau”) von der ersten Ehefrau Laverne, aber die glaubt ihren Mann ganz für sich zu haben und das allerbeste Leben zu führen. Für Gwendolyn und ihre Tochter Dana bleibt also nur das zweitbeste Leben übrig.

Den Roman erzählen, je zur Hälfte, die beiden Töchter. Jede beschreibt die Geschichte ihrer Familie von Anfang an. Natürlich gibt es da eine Reihe Überschneidungen, aber trotzdem entrollt sich die Geschichte von zwei völlig unterschiedlichen Familien vor den Leser*innen. Ich kann gar nicht in Worte fassen wie viel Schmerz, aber auch wie viel kraftvolle Figuren in diesen Geschichten stecken.

Dana bekommt von ihrem Vater von Anfang an eingebläut, dass sie das Geheimnis ist.

“Es war die Wahrheit, aber ich fühlte mich anders als noch vor ein paar Minuten […]. Meine Haut war noch dieselbe, aber durch eine Pore hatte sich die Veränderung eingeschlichen und sich an den zerbrechlichen Teil in meinem Inneren geheftet. Du bist das Geheimnis.”

Sie entwickelt eine regelrechte Obsession gegenüber Chaurisse, der “Haupttochter” ihres Vaters. Alles was Chaurrise tut darf Dana nicht. Sie muss die Schulen, Freizeitcamps und Ferienjobs meiden, die Chaurisse wählt. Immer bleibt für sie nur die zweite Wahl. Und trotzdem (oder gerade deshalb?) entwickelt sie sich in diesen Bedingungen zu einer starken, unabhängigen Frau mit einer Menge Wut im Bauch.

Chaurisse lebt im Vergleich das behütete Leben, welches sich Dana immer wünscht. Aber auch sie leidet. Sie ist ein zurückhaltendes, unbeliebtes Mädchen und unglaublich unsicher. Obwohl es nicht genau benannt wird, vermisst auch sie in ihrer kleinen Familie etwas, fühlt sich verloren. Spannend ist, wie sich ihr Charakter auch in der Erzählung niederschlägt. Zwar sind die beiden Teile vom Ton her sehr ähnlich, also der Stil unterscheidet sich kaum. Aber die Perspektive beider Mädchen ist doch grundverschieden.

In beiden Teilen schimmert durch, dass Onkel Raleigh (ein Freund des Vaters) der eigentliche Held des Romans ist. Seine Rolle hat mich sehr beschäftigt. Er lebt allein, hat keine Frau und Kinder, ist trotzdem aber irgendwie immer der, der eigentlich erste Wahl gewesen wäre. Durch Pech und Zurückhaltung lebt auch er nur ein zweitbestes Leben, unterstützt aber James und seine beiden Familien nach Kräften.

Aber neben diesem Motiv der besten und verpassten Leben, sind es vor allem starke Women of Color die in diesem Roman eine Rolle spielen! Sie werden hauptsächlich über ihre Frisuren beschrieben und charakterisiert. Die Themen Rassismus (und Colorismus) werden anschaulich und nah transportiert. Ganz besonders deutlich wird das, wenn es ums glätten und “bändigen” der Naturkrause geht. Je glatter, je “weißer” die Haare scheinen, desto besser ist nämlich leider immer noch das Credo.
Gleichzeitig werden aber gerade auch Afro-Haare als besonders Identitätsstiftend und als Sinnbild der Stärke gezeigt. Diese Widersprüche haben mir besonders gut gefallen.

Alles in allem ist es ein Roman der sich um die Frauen dreht. Um ihre Lebenswege, ihre Kämpfe. Ich habe ihn von der ersten bis zur letzten Seite verschlungen. Auch vom Stil der Autorin war ich von Anfang an begeistert. Sie schreibt atmosphärisch dicht und webt kleinste Details wie die seltsamen Familienfotos an der Wand oder den muffigen Geruch eines Raumes so in den Text ein, dass es sofort dieses gewisse Flair vermittelt.

In guten wie in schlechten Tagen

Ich habe diesen Roman erst nach dem anderen gelesen und bin ehrlich gesagt froh darüber. Auch “In guten wie in schlechten Tagen” ist wahnsinnig gut erzählt und durch einige als Briefe eingebaute Kapitel auch sehr kurzweilig, aber die Geschichte hat mir wesentlich mehr Bauchschmerzen bereitet. Doch dazu später mehr.

Erstmal, worum es geht. Celestial und Roy sind noch keine zwei Jahre verheiratet. Ihre Liebe schwankt irgendwo zwischen “frisch verliebt” und “erste Gewitter”. Dann, während eines Besuches bei Roys Eltern, wird Roy für ein Verbrechen verhaftet, das er nicht begangen hat. Eine Frau sagt, sie wurde von einem Schwarzen Mann vergewaltigt und da Roy in der Nähe war, landet er schneller in Haft und auf der Anklagebank, als er das vorher auch nur denken konnte.

“Zurück in Atlanta würden wir allen erzählen, dass in Amerika kein schwarzer Mann wirklich sicher ist.”

Celestial und Roy sind wohlhabende Schwarze, sie wirken nicht wie die Menschen, die schon häufiger mit Diskriminierung und Rassismus zu kämpfen hatten. Mit entsprechend großer Hoffnung an Recht und Gerechtigkeit gehen sie an das Gerichtsverfahren heran. Sehen es noch als spannende Geschichte für die Freunde Zuhause. Doch Roy wird schuldig gesprochen und zu 12 Jahren Haft verurteilt.

“Er hat nichts getan, außer zur falschen Zeit am falschen Ort ein schwarzer Mann zu sein. So einfach ist das.”

Die folgenden Jahre der Haft sind eine Probe für die junge Ehe, die sie nicht bestehen kann. Zwar sind da weiterhin Gefühle und eine große Liebe, aber der Riss in ihrem Leben ist zu groß. Und als Roy nach viel zu langer Zeit endlich aus dem Gefängnis frei kommt, spürt man, dass ihn das Gefängnis zu dem Schwarzen Mann gemacht hat, den die Gesellschaft schon vorher in ihm gesehen hat.

In diesem Roman geht unter anderem es um Ehe und Beziehungen und welche Last diese tragen können… oder auch nicht. Dafür werden nicht nur Celestial und Roy, sondern auch deren Eltern und andere Beziehungskonstellationen und deren Veränderungen dargestellt. Obwohl eine Ehe etwas zwischen zwei Menschen ist, wie es so schön im Roman heißt, hat sie auch immer Auswirkungen auf Dritte. Und Dritte können Auswirkungen auf eine geschwächte Beziehung haben.

Wenn es in “Das zweitbeste Leben” die Schwarzen Frauen sind, die im Zentrum der Geschichte stehen, sind es in diesem Roman die Schwarzen Männer. Denn trotz der spannenden Thematik von Liebe und Ehe bleiben die (Irr)Wege schwarzer Männer das Hauptmotiv des Romans. Ich muss sagen, dass ich Roy als Charakter von Anfang an nicht wahnsinnig sympathisch fand und seine Veränderung mich dann wirklich mitgenommen hat. Vor allem die letzten Kapitel haben mich richtiggehend wütend zurückgelassen. Wie er sich zu dem machen lässt, was die Richter und Polizisten von ihm erwartet haben, war so traurig mit anzusehen (sein Potenzial völlig verschwendet) und konnte ich ihm dennoch nicht verzeihen. Und auch wie sich Celestial gegenüber ihrem Mann verhält, wie sie sich zum Teil leichtfertig zum Opfer macht (oder zumindest so scheint) hat mich sehr aufgewühlt.

Insgesamt habe ich auch dieses Buch genossen, aber hatte mehr zu kauen an widerspenstigen Figuren und unerwarteten Entwicklungen. Auch das ist aber etwas, was Bücher können müssen. Der erste Roman war wohl eher literarisches Souldfood und dieser ein scharfer Eintopf. Beide lecker, beide mit Seele, aber eben geeignet für verschiedene Tage und verschiedenen Appetit.

 

Beide Romane wurden übrigens wunderbar übersetzt von Britt Somann-Jung und sind im Arche Verlag erschienen.

1 comment

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  1. 1
    Konstanze

    Von beiden Romanen kannte ich bislang nur die Titel und die Inhaltsangaben und ich muss zugeben, dass mich die Themen (also Bigamie und wie eine Ehe mit der Inhaftierung des Ehemanns zurechtkommt) immer noch abschrecken, obwohl mich all die Elemente, die du an den beiden Büchern gelobt hast, wirklich reizen würden … Hm … mal schauen, ob ich langfristig noch Lust darauf bekomme. Auf jeden Fall ist es schön zu lesen, dass du eine neue Lieblingsautorin gefunden hast! Davon kann man nie genug haben und so eine Neuentdeckung ist immer großartig! :)

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