Wir sind hier! – Hanau 19.02.


Ein Jahr ist es jetzt her, dass neun junge Menschen bei einem rechtsextremen Anschlag in Hanau ermordet wurden.

Ihre Namen sollen nicht vergessen werden. Unter dem Hashtag #saytheirnames wird in den sozialen Medien daher aufgerufen an die Opfer des 19.02.2020 zu erinnern.

Ferhat Unvar
Hamza Kurtović
Said Nesar Hashemi
Vili Viorel Păun
Mercedes Kierpacz
Kaloyan Velkov
Fatih Saraçoğlu
Sedat Gürbüz
Gökhan Gültekin

Vom 18. bis 20. Februar 2021 hat das Literaturhaus Frankfurt am Main erstmalig in Gedenken an die Opfer das Festival zur kulturellen Diversität ausgerichtet. Ich hoffe sehr, dass das Festival erst- und nicht einmalig abgehalten wurde!

Wir sind hier

Unter dem Motto “Wir sind hier” haben Autor*innen und Journalist*innen eine Plattform bekommen, welche in ihrem Alltag Rassismus erleben und sich in ihrer Arbeit offen oder hintergründig damit beschäftigen. Kuratiert wurde die Veranstaltung von Selma Wels und Benno Hennig von Lange.

Es wurde in den verschiedenen Lesungen und Diskussionsrunden des Festivals die Situation von Deutschland als Zuwanderungsland besprochen.

“Dem Narrativ einer belastenden Einwanderungsproblematik und der verbreiteten Gleichgültigkeit gegenüber rassistischer oder antisemitischer Gewalt werden positive, kritische und inklusive Narrationen entgegengesetzt. Denn längst hat sich eine diverse deutschsprachige Literatur als Abbild einer vielfältigen und offenen Gesellschaft etabliert, die mehr leistet und zu bieten hat, als jede Fernsehrunde zum Thema Populismus.”

Denn es ging beim Anschlag von Hanau nicht um kulturelle Unterschiede, sondern um Rassismus. Die Opfer lebten in Deutschland, wurden in Deutschland sozialisiert. Die Idee, dass Diversität hier das Problem ist, ist tragisch und viel zu einfach. Es ist die Rassifizierung von Menschen, die es möglich macht ihnen eine bestimmte kulturelle Identität oder eine Religion zuzuschreiben und sie ohne ohne ansehen ihrer Persönlichkeit zu hassen.

Deswegen müssen wir alle, die in einer Gesellschaft sozialisiert wurden, die diese rassistischen Strukturen trägt und ermöglicht, uns dafür einsetzen sie zu benennen und beseitigen. Diese Verantwortung haben wir, auch im Hinblick auf die Geschichte unseres Landes.

Damit Menschen hier nicht fremd gemacht werden, sich nicht fremd fühlen müssen, weil ihre Namen “ausländisch klingen” oder sie wegen irgendwelcher äußeren Merkmale rassistisch zugeordnet werden. Kurz nach der Tat wurde der Anschlag von Hanau von den Medien zum Teil als “fremdenfeindliche Tat” benannt. Aber diese jungen Menschen waren keine Fremden, sondern Bürger der Stadt Hanau. Sie waren Nachbarn, Freunde, Mitschüler.

Wichtige Perspektiven

Es hat mich fertig gemacht Hengameh Yaghoobifarah während einer Lesung des Festivals ganz unaufgeregt darüber sprechen zu hören, wie schwer es ist sich auf das literarische Schreiben zu fokussieren, wenn man ständig Morddrohungen erhält. Die Lesung aus ihrem neuen Buch “Ministerium der Träume” (ich habe mir gleich noch ein signiertes Exemplar bestellen können, yeah!) hat mir so viel Spaß gemacht. Gut, dass sie die Kraft hatte dran zu bleiben. Generell war die Lesung von Hengameh Yaghoobifarah und Deniz Utlu unheimlich spannend und hat mir neue Perspektiven eröffnet.

Ein interessantes Thema der Lesung war zum Beispiel die Frage, ob und wie stark Hengameh und Deniz ihren Figuren bestimmte Merkmale zugewiesen haben. Beide Bücher behandeln rassistische Gewalt und Rassismuserfahrungen. Aber wie leicht macht man es den Leser*innen einerseits sich mit den Figuren zu identifizieren und andererseits die Figuren ggf. selbst in eine Schublade zu stecken. So ist die Hauptfigur in Hengamehs Roman eine “migrantische Lesbe” und sie will die Leser*innen damit direkt in neue Perspektiven “zwingen”. Wenn jemand sagt, dass er sich damit nicht identifizieren kann, steht da doch die Frage, warum das so ist! Deniz berichtete, in seinem Roman diese Zuschreibung nicht so einfach zu ermöglichen, um mehr Raum für Unsicherheit und Zweifel zu lassen.

Das Festival war ein wichtiger Anfang und hat Fragen und Themen eröffnet, mit denen wir uns viel zu selten beschäftigen. Dafür bin ich wirklich dankbar und hoffe auf eine Wiederholung im nächsten Jahr!

Ihre Geschichten hören

Neben den Stimmen des Festivals, habe ich mich in den letzten Tagen auch immer wieder mit den Berichten der Angehörigen der Opfer und Zeug*innen des Anschlags von Hanau beschäftigt. Weil es wichtig ist ihnen zuzuhören, wenn sie ihre Geschichten erzählen. Schaut euch die Reportagen unbedingt noch an, die Erinnerung an die Geschehnisse ist ja nicht mit einem bemüht traurigen Gedenktag abgehakt!

In der Reportage von Tru Doku kommt Piter zu Wort. Er war am Abend der Tat vor Ort, seine Freunde sind gestorben. Es liegt mir wie Steine im Magen zu hören, wie der 19.02. sein Leben (und das vieler anderer junger Menschen) verändert hat und welche Sorgen ihn jetzt umtreiben.

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Neben der Dokumentation von Follow me.reports war auch die von TruDoku besonders. Dort spricht Arjin darüber, wie sie die Tat erlebte. Zusammen mit dem Team besucht sie erstmals wieder den Ort des Geschehens. Eine Starke Reportage über eine junge Frau, die bitte bitte nicht als Mitleids-Pr*n geschaut werden soll, sondern in dem Bewusstsein dass dort ein Mensch eines der größten Traumata seines Lebens offenbart.

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Ich habe jetzt auch mit dem Podcast „19022020 – Ein Jahr nach Hanau“ auf Spotify begonnen. Die ersten Episoden sind da (wie die beiden Reportagen) vor allem deshalb wertvoll, weil Betroffene zu Wort kommen. Ich kann mir kaum vorstellen, wie schwer es für sie alle sein muss, ihre Geschichten zu erzählen und dafür den furchtbaren Abend erneut zu durchleben. Dafür haben sie alle meinen höchsten Respekt und wir können das nicht genug wertschätzen.

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Zum Schluss möchte ich euch auch die Webseite der Initiative 19. Februar ans Herz legen. Dort engagieren sich Angehörige der Opfer für die Aufarbeitung der Geschehnisse und dafür, dass ihre Namen nicht vergessen werden!

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