Das Portrait einer wütenden Frau, Megan Hunter „Die Harpyie“


Jake und Lucy sind vermutlich eines dieser Ehepaare, die sich selbst betont witzig als “langweilig” bezeichnen würden, dabei aber eigentlich verdammt stolz auf ihr perfektes Leben sind. Sie wohnen in einer wohlhabenden englischen Kleinstadt, haben zwei aufgeweckte Söhne und eben eine langjährige, glückliche Ehe.

Bis Lucy erfährt, dass Jake eine innige Affäre mit seiner deutlich älteren Arbeitskollegin hat. Das bringt die Stabilität ihrer kleinen, oberflächlich heilen Welt ins wanken und reißt alte Wunden auf.

In ihrer verzweifelten Situation vereinbaren Jake und Lucy, dass sie Rache nehmen darf. Drei mal darf Lucy Jake nun verletzen, um ihm den Schmerz zurückzuzahlen. Wann und womit bleibt ihre Wahl, er lebt fortan in der Erwartung ihrer Wut.

Diese Vereinbarung der Rache wird als Versuch dargestellt, die Familie zu “retten”. Aber eine Frage bohrte sich während des Lesens in meinen Kopf: Wo steuert das alles hin? Will dieses Paar nach vollzogener Rache wirklich noch zusammen bleiben? Geht das überhaupt?
Es ist beklemmend zu verfolgen, wie die offensichtliche Sprachlosigkeit gegenüber all ihren Problemen das Paar lähmt. Wie die Rache Stück für Stück die Reste ihrer Beziehung zersetzt.

“Unsere Kommunikation beschränkte sich auf das absolut Notwendige: Grundinformationen zur Gesundheit und Sicherheit unserer Kinder, über Lebensmittel, Abholzeiten oder Krankheiten. Sonst nichts.”

Dabei brodelt es unter der Oberfläche natürlich weiter. “Die Harypie” von Megan Hunter erzählt eine Geschichte weiblicher Wut. Es geht um Beziehungen und Mutterschaft. Es zeigt sich, dass Lucy, angeschlagen vom Vertrauensbruch ihres Ehemannes, noch gegen weit mehr als diese Affäre kämpft. Die Ehe und die Erwartungen an sie als Mutter scheinen ihre Persönlichkeit schon länger aufzufressen. Jetzt scheint die Zeit gekommen, dieser Wut Raum zu geben.

Das wird auch spannend in kurzen Zwischenkapiteln gezeigt. Diese drehen sich um das Wesen der mythologischen Harpyie. Manchmal weiß man nicht, ob es wirklich nur die Inhalte aus Lucys Studientagen sind oder Beschreibungen ihrer aktuellen Verwandlung.

Im Verlauf der Handlung werden dann immer wieder Situationen des scheinbaren Glücks beschrieben. Doch deren schöner Glanz wird von der Affäre aber eben auch von Lucys Racheplänen zerstört. Das feierliche Abendessen im Kreise der Familie endet für Jake schmerzhaft, eine große Weihnachtsfeier wird zum Spießrutenlauf unter tratschenden Nachbarn.

Interessant ist, dass obwohl mit Jakes Affäre alles seinen Anfang nimmt, er als Figur wahnsinnig blass bleibt. Es scheint, als wäre sein Vertrauensbruch zwar der Anstoß, bei weitem aber nicht das Zentrum der Geschichte. Lucys Seelenleben wird dagegen sehr ausgiebig seziert und ihr als Figur kommen wir beim Lesen viel näher.

Ein wenig enttäuscht hat mich deshalb das Ende der Geschichte. Toll ist zwar, dass sich da ein Bogen schließt, der Lucys ganzes Leben zu umfassen scheint und ihre inneren Kämpfe nachvollziehbar erklärt. Aber die daraus gezogene Schlussfolgerung entspricht leider üblichen Erzählungen, Frieden beziehungsweise Zufriedenheit kann eine wütende Frau auch in dieser Geschichte nicht finden.

“Die Harpyie” von Megan Hunter, übersetzt von Ebba D. Drolshagen, erschienen im C.H. Beck Verlag, 229 Seiten. Werbung: Wenn du mich unterstützen möchtest, kannst du das Buch (oder beliebige andere) über meine Partner genialokal, Hugendubel, Bücher.de kaufen. Folge dafür einfach den Links, Danke!

4 Comments

Add yours
  1. 1
    miss_atticos

    Vor allem das Ende hat mich begeistert und richtiggehend erschüttert. Hat irgendwie total meinen Nerv getroffen. Ich wurde überrascht, weil ich alles erwartet hätte, nur dieses Ende nicht.

    • 2
      Alexandra

      Das ist ja spannend :) Ich hab es halt ein bisschen so empfunden, dass das dem üblichen „Rache ist nie gut / schlägt immer zurück“ folgt und jetzt nicht sooo überraschend war, deswegen hat es mich enttäuscht. Aber spannend wie unterschiedlich man das so aufnimmt.

  2. 3
    Konstanze

    Ich muss zugeben, dass mich das Buch so gar nicht interessiert … *g* Aber du hast so ein tolles Foto für diesen Beitrag geschossen, dass ich das auf jeden Fall kommentieren musste (und so ein wunderschönes Foto im Foto! :) ). Das ist wirklich sehr, sehr cool geworden!

  3. 4
    Janna | KeJasWortrausch

    Huhu meine Feine!
    Dein Foto auf Insta nahm mich direkt für sich ein, die wenigen Worte machten mich neugierig und was soll ich sagen, morgen hole ich es aus der Buchhandlung ab! Nun habe ich auch deine Rezension gelesen und bezüglich des Endes ist es natürlich schade, die blasse Figur des Mannes kann ich natürlich noch nichts zu sagen, ob es genauso richtig für die Geschichte ist oder nicht, aber auch hier hast du mich nochmals neugierig gemacht. Ich muss gestehen, das mich der Klappentext allein eher nicht anspricht. Und auch nach deinen Worten bin ich noch etwas verunsichert, geht es in die Tiefe oder steht vor allem eine betrogene und auf Rache sinnende Frau im Fokus? – Weißt du wie ich die Frage meine? Ich habe es heute leider nicht so mit den Worten …
    Muckelige Grüße!

+ Leave a Comment