Adas (T)raum
“Adas Raum” von Sharon Dodua Otoo ist ein Roman erzählt aus der Perspektive eines Türklopfers, eines Reisigbesens, eines Reisepasses und eines Zimmers. Er handelt von einer unsterblichen Seele, die in Schleifen durch die Zeitgeschichte treibt.
Klingt ziemlich abgefahren?
Ist es auch! Aber auf eine verdammt gute Art und Weise. Denn auch wenn das alles (gerade zu Beginn) erst mal ein wenig verwirrend ist, erschließt “Adas Raum” so einen ganz eigenen thematischen Kosmos.
Erzählerisch groß
Die Hauptfigur Ada ist eine Frau mit vielen Leben. Wir finden eine Ada in allen Epochen und an den unterschiedlichsten Orten. Sie ist mal eine begabte Mathematikerin in London, mal trauernde Mutter in Westafrika oder Prostituierte in einem Konzentrationslager.
Doch jede dieser Schleifen hängt eng mit den anderen Zusammen. Es gibt Parallelen und Entwicklungen, die alle Adas durchleben müssen.
Die Objekte beobachten das. Oberflächlich schweigend, aber natürlich nicht unkommentiert, schließlich folgen wir ihren Beschreibungen. Ihr Einfluss auf die Geschichte ist jedoch klein. Denn auch wenn der Türklopfer seine Ada zur Tür rufen kann oder ihr der Reisepass ein neues Leben verspricht, bleibt ihnen kein Handlungsspielraum. Und auch Ada ist dem Leben schutzlos ausgeliefert. Diese Schutz- beziehungsweise Machtlosigkeit vereint die jeweilige Ada und ihr Objekt.
Die erzählende Stimme, also das Objekt in den verschiedenen Epochen, möchte gern ein Lebewesen sein. Immer wieder hofft es, dass die Karten bei der nächsten Schleife zu seinen Gunsten getauscht werden. Dennoch nimmt es seine jeweilige Aufgabe ernst, steht Ada zur Seite und bangt mit ihr.
Denn Ada ist es, die in den Geschichten zum Teil zum Objekt gemacht wird. Zur Schwarzen Frau, die sofort als “Fremde” gesehen wird, sobald sie deutschen Boden betritt. Oder zur Ehefrau, die den Launen ihres Mannes ausgeliefert ist. Es ist nicht schwer, ihre Wunden und ihren Schmerz zu verstehen. Und es ist spannend zu lesen, wie die Frau beinahe wie ein Objekt behandelt wird, während das Objekt ziemlich viel Mitgefühl zeigt.
Sprachlich beeindruckend
“Allein die Liebe. Die ist für Gott reserviert. Was mich entlastet, wenn ich ehrlich bin, denn Liebe ist ein überstrapaziertes Konzept, das schnell zu schlechten Entscheidungen und noch schlechteren Schlagern führt.”
Neben dem erzählerisch ungewöhnlichen Ansatz, war da diese verführerische Sprache, die mich begeisterte. Sharon Dodua Otoo schreibt in einem Stil, in dem ich mich sofort versenken wollte.
Denn auch wenn die Geschichte zunächst widerspenstig und verwirrend scheint, ist es die Sprache, die sofort fesselt. Die Autorin zeichnet atmosphärisch intensive Szenen, schreibt mal mit Drama, mal mit Humor. Nach und nach ergeben dann die verschiedenen Erzählebenen einen Sinn und erschließen sich dem Lesenden. Ein Mosaik, das mich sehr beeindruckt und begeistert hat.
Im Missy Magazine 02/21 gibt es ein spannendes Interview mit Sharon Dodua Otoo unter der passenden Überschrift “Entspann dich, Deutsch!”. Sie spricht darin über ihre Erfahrungen als Schwarze Autorin in Deutschland. Wie sie oft sofort in die Schublade für “fremdsprachige Autor*innen” geschoben wird und warum sie unbedingt auf Deutsch schreiben wollte. Ihr Gedanke ist, dass sie die deutsche Sprache anders nutzt, weil es nicht ihre erste Sprache ist.
Die Autorin betont im Interview außerdem, dass sie unzufrieden mit dem Gedanken ist, dass Geschichte irgendwo anfängt, einen linearen Verlauf hat und dann an einem festen Endpunkt ankommt. Ihrem Roman merkt man das auf jeden Fall an. “Adas Raum” bewegt sich in Schleifen vorwärts, lässt parallele Handlungsteile entstehen und reißt uns auch mal kurzerhand aus einer Szene.
Insgesamt wirkt dieser Roman sehr traumhaft. Die Episoden gleiten zum Teil wie im Traum ineinander. Manchmal betritt Gott die Bühne, bleibt jedoch wahnsinnig unscharf. Und werden da nicht sogar zwischendurch die Pronomen Gottes gewechselt? Oder habe ich mich geirrt?! Wie im Traum bleibt von Szenen und Dialogen manchmal nur ein undeutliches unwirkliches Gefühl zurück. Ein literarisches Abenteuer, ich habe es geliebt!
Thematisch komplex
Und dann sind da die vielen thematischen Ebenenen, die sich im Roman verbergen. Es geht um Rassismus, um die Kolonialisierung und Vereinnahmung fremder Kunst und Kulturen. Es geht um Mutterschaft und die Unterdrückungen denen Frauen, im speziellen Schwarze Frauen, immer wieder begegnen.
Insgesamt geht es um nicht weniger als das Leben selbst.
So versteckt sich eine besonders schöne – und irgendwie sehr deutsch wirkende – Metapher für das Leben im Roman. Das Leben, so heißt es, ist wie Wurst. Vor unserer Geburt sind alle Seelen in einem großen Brät zusammen, dann werden wir getrennt und landen jeder in unserer Pelle. Aber eigentlich sind wir uns doch ziemlich nah, ziemlich ähnlich.
Dieses Bild ist so absurd und unpoetisch, dass es mir für das Leben gut gefällt. Immerhin ist das Leben auch oft absurd und in den wenigsten Fällen poetisch.
Ich möchte “Adas Raum” allen Leser*innen ans Herz legen, die sich was trauen. Die einem Buch ein paar Seiten (keine Sorge, es dauert nicht zu lang) Zeit geben um diese wilde Fahrt durch Raum und Zeit zu genießen. Es lohnt sich!
„Adas Raum“ von Sharon Dodua Otoo, erschienen im S. Fischer Verlag, 320 Seiten. Werbung: Wenn du mich unterstützen möchtest, kannst du das Buch (oder beliebige andere) über meine Partner genialokal, Hugendubel, Bücher.de kaufen. Folge dafür einfach den Links, Danke!
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