Toxische Männlichkeit stirbt nicht


Es gibt einen Satz, der den Kern des Romans nahezu perfekt beschreibt. Müsste ich möglichst kurz schildern, worum sich “Ist alles deins!” von Jami Attenberg dreht, würde ich wohl dieses Zitat wählen:

„Es war ein Wunder, dass die Welt nicht täglich unter der Last männlicher Egos zusammenbrach, dachte sie.“

Es geht um toxische Männlichkeit im kleinen (betrügerische Ehemänner), großen (Vergewaltiger & Verbrecher) und globalen (Donnald Trump & Co). Männer können ungestraft, oder beinahe ungestraft, mit so ziemlich allem davonkommen. Eben mit einem Leben als Verbrecher (der Roman hat an dieser Stelle harte Soprano-Vibes) genauso, wie mit dem kleinen Seitensprung oder damit beinahe ein ganzes Land zu ruinieren.

Und ja, das liest sich etwa so unangenehm wie es klingt. Ich habe nichts gegen unsympathische Charaktere. In “Vor Rehen wird gewarnt” von Vicki Baum habe ich mich in der witzigen Bösartigkeit der Hauptfigur gesuhlt. Hier, in “Ist alles deins”, war ich mehrmals drauf und dran das alles aufzugeben. Warum soll ich mehr als eine Zeile über so einen furchtbaren Mann lesen? Es machte mich so wütend!

Der Roman spielt einen Tag nach dem Herzinfarkt dieser wirklich unheimlich unangenehmen Hauptfigur. Selbst während er nichts sagen oder tun kann, dominiert er das Leben aller um sich herum. Die Frauen seines Lebens kreisen um ihn, verbunden in Liebe und Abscheu in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen.

Wie können wir so einen Mann nicht nur dulden, sondern unterstützen und lieben? Die beschriebenen Beziehungen sind zum Teil mehr als toxisch und gewaltvoll. Ich bin nach wie vor nicht ganz sicher ob ich verstanden habe, wieso die Autorin diese Konstellationen wählte. Sie lässt viele Deutungen der Entwicklungen offen.

Diese Entwicklungen werden von der Autorin ganz ruhig und behutsam beschrieben. Die komplette Handlung spielt während eines einzigen Tages, der aus der Perspektive der verschiedenen Familienmitglieder detailliert aufgezeigt wird. Ihre Konflikte, die brennende Neugier der Tochter hinter das Schweigen ihrer Eltern zu dringen und gleichzeitig die eigene Sprachlosigkeit in Beziehungen. Alles findet sich in verschiedenen Perspektiven und Ebenen mehrfach wieder, wirklich stark.

Begeistert haben mich außerdem die starken Bilder im Roman. Wie in Theaterszenen werden immer wieder Figuren im Hintergrund platziert, die als als Symbol für oder Kontrast gegen eine aktuelle Situation funktionieren. Ein knutschendes Paar bei einem bedrückenden Telefonat mit der Mutter, eine Hochzeit im Hintergrund eines Gesprächs über schwierige Männer.
Ähnlich “schmückendes Beiwerk” scheinen Figuren zu sein, die hin und wieder Platz eingeräumt bekommen, obwohl sie eigentlich gar nichts zur Haupthandlung beitragen. Manchmal leiden auch sie unter dem beschriebenen Typ Mann, aber grundsätzlich scheinen ihre Geschichten eher lose verbundene Abschweifungen. Das ist ziemlich spannend gemacht.

Obwohl ich die deutsche Übersetzung wirklich sehr gern gelesen habe, gibt es für mich übrigens einen einzigen, kleinen Kritikpunkt. Der Originaltitel mit seinem Konjunktiv “All this could be yours” passt in meinen Augen besser zum Roman, lässt mehr Deutung offen als das harte “Ist alles deins!”, das ganz direkt noch mit einem Ausrufezeichen garniert wird.

Und was nach dem Roman zurückbleibt? Viel Groll, aber auch das Gefühl dass es gut ist, sich diesen Gefühlen zu stellen.

 

„Ist alles deins!“ von Jami Attenberg, übersetzt von Barbara Christ, erschienen im Schöffling Verlag, 320 Seiten. Werbung: Wenn du mich unterstützen möchtest, kannst du das Buch (oder beliebige andere) über meine Partner genialokal, Hugendubel, Bücher.de kaufen. Folge dafür einfach den Links, Danke!

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