Bittere Orangen von Claire Fuller


Claire Fullers “Bittere Orangen” liest sich wie ein klassischer Schauerroman. Die Geschichte erzählt von Frances, die nach dem Tod ihrer Mutter mit fast vierzig Jahren erstmals selbst über ihr Leben bestimmen kann. Auf der Suche nach Orientierung nimmt sie zunächst den Auftrag des Besitzers eines leerstehenden Herenhauses an. Dort soll sie Aufzeichnungen über den Garten und das Anwesen anfertigen. Das klingt nach leichter Arbeit und der Gelegenheit für eine Atempause. Zur selben Zeit ist ein junges Pärchen auf Lynton. Cara und Peter wecken in der zurückhaltenden Frances die größte Faszination. Doch in der drückenden Sommerhitze baut sich auf Lynton eine heftige Spannung auf.

Die Geschichte wirkt wie aus der Zeit gefallen. Zunächst ist da diese Atmosphäre, das düstere alte Herrenhaus und die biedere, beinahe prüde Protagonistin. Ich habe unwillkürlich an Romane des 19. Jahrhunderts denken müssen. Im krassen Kontrast dazu das Setting im Jahr 1969, an das nur kleine Hinweise hier und da erinnern. Bei Erwähnung der Mondlandung und des Batik-Shirts einer der Figuren, musste ich unwillkürlich stutzen.

In aller Einsamkeit

Irgendwie schienen die Figuren in ihrer Abgeschiedenheit auf Lynton wirklich nicht mehr in ihre Zeit zu passen. Drei Menschen, die sich zunächst gar nicht kannten, leben plötzlich in völliger Abgeschiedenheit und können sich in dieser unheimlichen Umgebung nur aneinander orientieren. Frances, zunächst nur der Pflege ihrer Mutter verschrieben, erlebt zum ersten Mal Freundschaft und erotische Anziehung.

Ein zentrales Thema des Romans ist dabei Einsamkeit. Die Protagonistin zählt die kleinen Momente des Tages, an denen Menschen “Guten Tag” oder ähnlich Banales zu ihr sagen. Sie hat weder Familie noch Freunde. Zur Mutter verband sie eine Hassliebe, doch seit deren Tod ist sie ungebunden und scheint völlig haltlos. Es ist sehr glaubhaft beschrieben, wie sie aus dieser Grundsituation so in der Beziehung zu Cara und Peter aufgehen konnte.

Immer wieder werden Details eingeschoben, die Hintergrund für die Figuren liefern. Das lässt sie einerseits noch plastischer aber auch viel mysteriöser scheinen. Denn oft werden Andeutungen erst nach und nach zu Fakten, winden und drehen sich immer wieder. Sowohl Frances als auch wir als Leser*innen müssen uns die Wahrheit Stück für Stück zusammenpuzzlen.
Dabei ist Frances die erzählende Stimme des Romans. Wir sind völlig auf ihre Perspektive angewiesen. Mittlerweile alt und pflegebdürftig, zieht vom Sterbebett Bilanz über diesen seltsamen Sommer. Sie bereut Chancen die sie verpasst, Dinge die sie gesagt und getan hat. Doch warum sie sich so grämt bleibt lang im Dunkeln.

Nichts als die Wahrheit?

Spannend ist, wie man immer wieder nur leicht merkt, wie sich die Wahrnehmung der erzählenden Hauptfigur verschiebt. Wie sie sich selbst Dinge einredet, aber sich auch subtil beeinflussen lässt. Erst empfindet sie eine Brücke auf dem Anwesen als ziemlich trivial und hässlich, später ist sie dann doch gar nicht so schlecht. Ob Frances ein Gesicht im Fenster des Herrenhauses gesehen hat, könnte sie gar nicht mehr so genau sagen.

Auch wir Leser*innen werden von diesem Roman manipuliert. Ich verrate natürlich nichts, aber immer wieder stellen sich Gewissheiten als falsch heraus. Das unterstreicht die Spannung des Romans für meinen Geschmack noch mal.

In der Konstellation “alleinstehende Frau verliert sich in ihrer Schwärmerei für ein gutaussehendes, beeindruckendes Paar” hat mich “Bittere Orangen” ein wenig an “Wunderland” von Claire Messud erinnert. Eine Leseempfehlung für den düsteren Oktober.

 

„Bittere Orangen“ von Claire Fuller, übersetzt von Susanne Höbel, erschienen im Piper Verlag, 352 Seiten. Werbung: Wenn du mich unterstützen möchtest, kannst du das Buch (oder beliebige andere) über meine Partner genialokal, Hugendubel, Bücher.de kaufen. Folge dafür einfach den Links, Danke!

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