Eine ziemlich schlechte Idee
Fredrik Backmanns “Eine ganz dumme Idee” ist einer dieser Romane, die einfach irgendwie gut tun. Perfekt unperfekte Figuren tun Dinge, die so herrlich absurd sind, dass man Lachen muss. Trotzdem gibt es natürlich auch noch ein bisschen Drama und kleine Lebensweisheiten. Am Ende fügt sich alles so schön, wie es das nur in Büchern oder Filmen tut. Hach!
Der Roman handelt von einem Bankräuber wider Willen, der eigentlich nur etwas Geld braucht, um seine Miete zu zahlen. Leider überfällt der Bankräuber ausgerechnet eine bargeldlose Bank. Auf der Flucht vor der eilig gerufenen Polizei rettet er sich in das gegenüberliegende Wohnhaus und landet dort mitten in einer Wohnungsbesichtigung. Aus dem schlechten Banküberfall wird eine katastrophale Geiselnahme. So hat sich das der Bankräuber natürlich nicht vorgestellt.
Viele schlechte Entscheidungen
Im Verlauf der Handlung erfahren wir Stück für Stück wieviele schlechte Entscheidungen dazu führten, dass ein friedlicher Wintertag so aus dem Ruder laufen konnte. Die kleinen und größeren Dramen sind dabei, wie für den Autor üblich, gar nicht spektakulär. Trotzdem oder gerade deshalb sind sie so mitreißend und halt irgendwie nett zu lesen. Denn nicht nur der Bankräuber hat sein Päckchen zu tragen. Auch die Teilnehmer*innen der Wohnungsbesichtigung, also die späteren Geiseln, haben alle ihre eigene, spannende Geschichte.
Schön ist dabei, dass alle Figuren enger zusammenhängen, als man das auf den ersten Blick glaubt. So gibt es immer wieder überraschende Wendungen und Verbindungen. Bis alles, kleinstadttypisch, ein interessantes Netz ergibt. Obwohl sie so unterschiedliche Hintergründe haben, fügen sich ihre Biografien gut zusammen.
Schließlich kommt es auch für die Polizei anders als gedacht: nachdem die Geiseln nach einigen Stunden das Gebäude verlassen dürfen, fehlt vom Bankräuber jede Spur. Nur wie hat er entkommen können? Knapp die Hälfte des Romans nehmen daher Befragungen der einzelnen Geiseln ein. Diese lesen sich schnell weg und sind wirklich ziemlich witzig. Also auch in dieser Hinsicht einfach angenehme, entspannte Lektüre.
Ein kleines „Aber“ am Schluss
Also obwohl mir das Buch im Großen und Ganzen wirklich Spaß gemacht hat und gerade für die dunkle Jahreszeit eine schöne Lektüre ist, muss ich noch ein kleines „aber“ erwähnen.
Im Original heißt das Buch “Folk med ångest”, im Englischen wird dafür die passende Übersetzung “Anxious People” gewählt. Warum in der deutschen Vermarktung der Fokus nicht auf Angst sondern Dummheit gelegt wird, vermag ich nicht mal zu vermuten. Die Protagonist*innen kämpfen alle mit verschiedenen Ängsten. Ob ganz konkret oder sehr diffus, groß oder klein. Psychische Gesundheit hat in der Geschichte einen wichtigen Stellenwert und in ihren Ängsten sind sie sich alle ähnlich. Darin finden sie Nähe zueinander. Ich hätte es schöner gefunden, wenn das auch widergespiegelt wird.
Es ist schade, dass der deutsche Titel schlechte Entscheidungen und Ängste mit “Dummheit” gleichsetzt. Das ist ableistisch und unnötig. Besonders hat mich allerdings die inflationäre Nutzung des Begriffs “Idiot” gestört. Im Deutschen hat das Wort durch den Nationalsozialismus einfach keinen guten Hintergrund. Ja, es ist manchmal ziemlich schwer ableistische Begriffe aus dem Wortschatz zu tilgen. Aber bei einem Buch, bei dem sich Leser*innen wohlfühlen sollen, hat das für mich einen komischen Beigeschmack. Es wär doch cool, wenn sich einfach alle wohfühlen dürfen und nicht anhand ihrer Fähigkeiten bewertet werden.
„Eine ganz dumme Idee“ von Fredrick Backmann, übersetzt von Antje Rieck-Blankenburg, erschienen im Goldmann Verlag, 464 Seiten. Werbung: Wenn du mich unterstützen möchtest, kannst du das Buch (oder beliebige andere) über meine Partner genialokal, Hugendubel, Bücher.de kaufen. Folge dafür einfach den Links, Danke!
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