Angehört: Frau Shibatas geniale Idee


Frau Shibata ist 34 Jahre alt und arbeitet als einfache Angestellte in einer tokyoter Firma, die Papierrollen herstellt. Ihre Arbeitstage sind genau so eintönig wie frustrierend: als Frau im Büro wird sie wie selbstverständlich dafür verantwortlich gemacht den Herren Kaffee zu kochen, die Räumlichkeiten in Ordnung zu halten und artig lächelnd all das zu erledigen, für was sich die Männer im Arbeitsleben viel zu schade sind. 

Eines Tages beschließt Frau Shibata aus einer Laune heraus ein „Experiment“ zu starten. Sie behauptet sie wäre schwanger, obwohl sie das nicht ist. In der japanischen Arbeitswelt scheinen werdende Mütter mit wesentlich mehr Rücksichtnahme und Respekt behandelt zu werden, als andere Frauen. Und obwohl diese Lüge zwangsläufig viele weitere nach sich zieht und das ganze ein unweigerliches Ablaufdatum hat, gefällt sich Frau Shibata in ihrer neuen Rolle. Sie stopft sich ihre Kleidung aus, hält sich genau an die Ernährungsregeln, die schwangere Frauen empfohlen bekommen, und geht sogar zu einem Sportkurs für Schwangere. Auch ihr Privatleben wird davon positiv beeinflusst: unter den schwangeren Frauen im Kurs findet sie Freundinnen und hat so auch endlich ein besseres soziales Netz.

Was mit dem Wunsch nach einem Mindestmaß an Respekt und Menschlichkeit im Arbeitsleben begann, ändert nach und nach Frau Shibatas ganzes Leben. Eine geniale Idee also?! Es ist kein Wunder, dass im Roman also die Grenze zwischen Lüge und Wahrheit mehr und mehr verschwimmt. Man kann sich, wie Frau Shibata, kaum noch bewusst machen, dass sie ja eigentlich nicht wirklich schwanger ist. Oder etwa doch? 

Ich habe diesen kurzweilig erzählten und humorvollen Roman als Hörbuch gehört und war völlig gefesselt. Zu dringend wollte ich wissen, wie beziehungsweise wann Frau Shibata dieses Experiment beendet. Wie kann sie ihrer eigenen Geschichte entkommen? 

In vielen Rezensionen wird der Roman als großer feministischer Text gefeiert. Das ist er zum einen, weil er die Rolle der Frauen in der japanischen Arbeitswelt äußerst deutlich zeichnet und sehr offen kritisiert. Die starke kulturelle Prägung lässt ihn jedoch nur bedingt allgemeingültig wirken. Zumindest hatte ich nicht das Gefühl, dass meine schwangeren Freundinnen oder generell junge Mütter in meinem Umkreis immerzu vor Hilfsangeboten und Rücksichtnahme überschwemmt worden sind.

Das Leben mag für Frau Shibata etwas weniger schlimm sein als zuvor, aber die weibliche Benachteiligung ist dadurch kaum ausreichend kritisiert. Trotzdem ist „Frau Shibatas geniale Idee“ eine tolle Geschichte mit einer großen Sogwirkung, die man unbedingt beenden will, weil diese ganze Entwicklung so unglaublich scheint.

 

„Frau Shibatas geniale Idee“ von Emi Yagi, übersetzt von Luise Steggenwetz, erschienen bei SAGA Egmont, 4 Stunden 30 Minuten Hördauer. 

+ There are no comments

Add yours