Die Frau auf dem Foto


Machen wir uns nichts vor, Cover und Titel des Buches lassen nicht unbedingt eine große literarische Perle vermuten. Aber ein Blick in diesen außergewöhnlichen Roman lohnt sich. Wirklich!

Zwar ist es stilistisch ein Unterhaltungsroman, der eher unscheinbar daherkommt. Eine klare Sprache und Struktur, wenige (dafür dennoch gute) sprachliche Bilder. Ein Roman der leicht zugänglich ist (übrigens auch ein Pluspunkt, über den wir bei Gelegenheit mal sprechen müssen, Stichwort Inklusion) und von wenig “Firlefanz” beschwert wird. Das klingt vielleicht platt, ist aber in diesem Fall genau richtig.

Inhaltlich hat es dieser Roman in sich

Erzählt wird die Geschichte der berühmten (aber natürlich fiktiven) Fotografin und Feministin Veronica Moon. Sie machte sich während der 1960er und 70er Jahre in England einen Namen und ist ein Star der Branche. Ihre Karriere endete jedoch abrupt, als Gerüchte über ihr letztes Portrait einer berühmten Aktivistin aufkamen. Nun möchte eine junge Kuratorin das Lebenswerk von Veronica Moon für ihr Museum aufarbeiten und die Hintergründe dieses Fotos entwirren.

“Die Frau auf dem Foto” von Stephanie Butland ist eine Geschichte über die zweite Welle der Frauenbewegung. Es wird beschrieben wie die Proteste von 1968, als 187 Näherinnen die Ford Werke zum Stillstand brachten, die Arbeitswelt für Frauen veränderten. Es wird thematisiert, wie Frauen bei der Miss World Wahl 1970 demonstrierten. Weil sie gegen die gängigen Schönheitsideale und die Reduzierung von Frauen zu “schönen Ausstellungsstücken” aufbegehrten.

Es geht aber auch darum, wie wir, die Erbinnen dieses Feminismus, diesen Kampf weiterführen können und müssen. Dass diese zweite Welle ein Anfang war, auf dessen Errungenschaften wir uns nicht ausruhen sollten. Weil der Kampf um Gleichberechtigung und Selbstbestimmtheit nicht einfach irgendwie “fertig” ist.

Das wird toll unter anderem dadurch gezeigt, dass in beiden Zeitebenen genug Platz ist für unterschiedliche Lebensentwürfe. Es wird wenig geurteilt sondern den verschiedenen Perspektiven auf Feminismus Platz gemacht. Ein bisschen schade dabei ist, dass lediglich die einzige Vollblut “Hausfrau und Mutter” negativ repräsentiert wird. Das hätte ich mir von modernem Feminismus anders gewünscht. Schließlich geht es dabei auch um das Aufbrechen von festgelegten Erwartungen und Rollenbildern. Sonst kommt der Roman nämlich großteils ohne diese Feindbilder aus.

Politisches und Persönliches…

Was nicht heißt, dass es keine Konflikte und Unsympathien gibt und sich alle glücklich in den Armen liegen. Ganz und gar nicht. Eine der Hauptfiguren ist unsympathisch, herrisch, teils mit sich aber auch mit anderen ungerecht und streitsüchtig. Dennoch verfolgt man ihren Kampf interessiert. Sie sucht einen Platz in der Frauenbewegung, die zu dieser Zeit einfach als unheimlich kämpferischer beschrieben wird.

Auch die differenzierte Darstellung einer Kleinfamilie hat mir gefallen. Die Autorin zeigte die notwendige Arbeit an einer Beziehung, statt übertriebener Harmonie oder furchtbarem Beziehungsdrama.

Ich habe es geliebt, dass “Die Frau auf dem Foto” endlich eine Geschichte ist, die im Feminismus Raum gibt für die stille Kraft introvertierter Menschen. Eine Protagonistin, die die Öffentlichkeit scheut, sich in ihrem Aktivismus nie laut “an forderste Front” traut und dennoch die Welt verändert. Aktivismus wird sonst oft mit Extrovertiertheit gleichgesetzt, dass auch beobachtende ruhige Menschen nötig sind, ist ein toller Fokus.

Dazu passend, wenn auch nicht damit verbunden, ist meine Begeisterung darüber, hier zum ersten Mal überhaupt eine asexuelle und aromantische Protagonistin zu lesen, die einfach cool beschrieben wird.

Zwar gibt es immer mehr Bücher, in denen das “Und wenn sie nicht gestorben sind” nicht mehr der einzige Entwurf für weibliche Figuren ist. Aber oft werden die, die weder die Lust auf Sex noch den Wunsch nach einer romantischen Beziehung kennen, eher “schrullig” und irgendwie speziell beschrieben. In “Die Frau auf dem Foto” scheint die Hauptfigur asexuell, total zufrieden damit und cool. Großartig.

“Sie hatte aber kein Interesse mehr an Liebe, egal welcher Art.”

So stellt sie zum Beispiel fest, dass ihr Vater und eine Freundin die einzigen Menschen wären, die ihr etwas bedeutet haben. Obwohl sie zu Beginn der Geschichte noch glaubt dahingehend andere Erwartungen erfüllen zu müssen. Ein Detail das ich hoffentlich nicht überinterpretiere, aber das mir super gefallen hat.

… und Fotografisches.

Und wenn all das immer noch nicht reicht um das Buch trotz des furchtbaren Covers lesen zu wollen: es geht um Fotografie! Jedes Kapitel wird mit einem Abschnitt über Fotografie eingeleitet, der diese Kunst toll charakterisiert. Die Beschreibungen von Veronica Moons berühmtesten Fotografien haben mir abwechselnd Lust aufs Demonstrieren und Fotografieren gemacht. Die Autorin hat dieses andere Medium einfach super in ihren Roman eingebunden.

“Fotografinnen waren einzelgängerische Wesen, halb Mensch, halb Kamera.”

Unterm Strich eine tolle Lektüre für begeisterte Fotograf*innen und Feminist*innen. Ach, einfach für alle Leseratten, die Lust auf eine gelungene Mischung einer unterhaltsamen fiktiven Geschichte und spannender historischer Fakten haben. Jedes Kapitel enthält nämlich auch noch eine kurze historische Einordnung der damaligen Geschehnisse, das rundet das Konzept super ab.Ich habe daraufhin zu einigen dieser Geschehnisse weitere Artikel gelesen oder Filme gesehen “We want Sex” über den Ford-Streik kann ich sehr empfehlen (hier gibt’s eine gute Rezension zum Film).

P.S. Ein Wermutstropfen

Ich weiß nicht ob es an der Übersetzung lag oder die Autorin hier bereits behindertenfeindliche Begriffe nutzt. Aber ich finde es wirklich schade, wenn in einem Buch über Feminismus wieder nicht intersektional gedacht wird. Für mich ist der Begriff “Krüppel” als Abwertung überhaupt nicht okay. Er erlebt eine erneute Vereinnahmung unter behinderten Menschen in der sog. Krüppelbewegung, genau da ist es angemessen ihn zu nutzen. Als lässige Herabwürdigung ist er einfach fehl am Platz.

“Unfassbar, dass es auch 2018 noch immer Frauen gab, die sich wegen eines patriarchalischen Schönheitsideals zum Krüppel machten.”

 

„Die Frau auf dem Foto“ von Stephanie Butland, übersetzt von Heike Reissig, erschienen bei Droemer Knaur, 403 Seiten. Werbung: Wenn du mich unterstützen möchtest, kannst du das Buch (oder beliebige andere) über meine Partner genialokal, Hugendubel, Bücher.de kaufen. Folge dafür einfach den Links, Danke!

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