Oben Erde, unten Himmel


Im Japanischen gibt es einen eigenen Begriff für ein Phänomen, das so traurig ist, dass man im Deutschen am liebsten gar nicht darüber sprechen möchte. Das Wort „Kodokushi“ bezeichnet den Umstand, dass Menschen einsam sterben und erst Tage, Wochen oder gar Monate später in ihrer Wohnung gefunden werden. Ein Phänomen tiefer Einsamkeit, sozialer Isolation und fehlender Verbindung zwischen Menschen gerade in großen Städten.

„Oben Erde, unten Himmel“ erzählt die Geschichte von Suzu. Einer jungen Frau, die in einer japanischen Großstadt selbst sehr einsam lebt. Bis auf ihren Hamster scheint sie kaum etwas fest in ihrem Leben zu verankern. Eher durch Zufall bekommt sie dann einen Job bei einer Reinigungsfirma, die nach Fällen von Kodokushi aufräumt. 

Diese Arbeit, die erst so abstoßend und bedrückend wirkt, wird für Suzu ein Weg zurück in ein für sie zufriedenes Leben. Ich mochte dabei die leisen Töne und den Aspekt, dass die Figuren nicht in eine „sozial akzeptable“ Schablone mit Ehe, Kind und Hund gepresst werden. Stattdessen durchleben alle auf ihrer Ebene wirklich nachvollziehbare Entwicklungen. So ist es bei Suzu eben auch ein großer Fortschritt, wenn sie mal einen Gast einlädt oder mit den älteren Nachbarn hin und wieder spricht. 

Manchmal werden unschöne Details skizziert, aber „Oben Erde, unten Himmel“ ist eigentlich ein Slice of Life, das ohne Drama auskommt. Stattdessen wird ganz ruhig und alltäglich das Leben seiner Figuren erzählt. Die Autorin schafft es das Bedrückende der Kodokushis zu transportieren und Fragen nach Mitmenschlichkeit, Freundschaft und aufmerksamem Miteinander zu thematisieren, ohne einzelne Schicksale irgendwie „gruselig“ zur Schau zu stellen. Nach der Lektüre blieb mir dadurch so ein unbestimmter Friede und der Wunsch hin und wieder noch ein bisschen besser auf meine Mitmenschen zu achten.

 

„Oben Erde, unten Himmel“ von Milena Michiko Flašar, erschienen im Wagenbach Verlag, 304 Seiten. Werbung: Wenn du mich unterstützen möchtest, kannst du das Buch (oder beliebige andere) über meine Partner genialokal, Hugendubel, Bücher.de kaufen.

1 comment

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    Christiane Peters

    Was für ein wichtiges Buch! Leider passiert das „einsame Versterben“ heute auch in Deutschland immer öfter. Dabei ist das einsame Leben vor dem Tod noch wesentlich schlimmer. Das Buch ist ein wichtiger Appell an die Mitmenschlichkeit und ein Aufruf, hin und wieder sich auch mal nach dem Nachbarn zu erkundigen.

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