Die Abwärtstreppe rauf


Ich verstehe nicht ganz, warum „Die Abwärtstreppe rauf“ von Bel Kaufmann keinen absoluten Hype ausgelöst hat. Vor knapp zwei Jahren hat uns die Frankfurter Verlagsanstalt diese literarische Perle von 1964 endlich erstmals in deutscher Übersetzung, sehr gelungen umgesetzt von Alexandra Berlina, zugänglich gemacht. Aber ohne die wunderbaren Literaturempfehlungen von Isabella Caldart (bitte folgen und ❤️en da lassen) wäre ich auf diesen Geheimtipp wohl nie aufmerksam geworden. Also „Spread the word!“, diesen Tipp muss man weitertragen!

Worum geht’s? Kurz gesagt: um ein Bildungssystem, das mit unnötigen bürokratischen Hürden und finanziell sowie personell schlecht ausgestatteten Schulen für Lehrkräfte und Schüler*innen gleichermaßen zur Zerreißprobe wird. Überraschend zeitgemäß für einen Roman, der ursprünglich in den 1960er Jahren erschienen ist und an einer New Yorker Schule spielt. Die engagierte und motivierte Lehrerin Sylvia Barrett könnte vermutlich auch in einer beliebigen deutschen Oberstufe unterrichten. 

Neben dem wichtigen Thema ist aber auch einfach die Textform unheimlich spannend. „Die Abwärtstreppe rauf“ wird in Textfragmenten und Zusammensetzungen erzählt. Ein Puzzle aus unfreiwillig komischen Verordnungen und absurd bürokratischen Schreiben der Schule, Briefen der erschöpften Lehrerin Sylvia Barret an eine Freundin, Briefchen von Schüler*innen und einem diffusen Stimmengewirr im Klassenzimmer. So setzen sich nach und nach die Geschichten von Sylvia Barrett und ihrer Klasse zusammen. Wir können über vierhundert Seiten verfolgen, wie eine junge und engagierte Lehrerin an den Irrwegen des Systems und organisatorischen Herausforderungen beinahe zusammenbricht. Die Abwärtsreppe darf man niemals aufwärts gehen, bestimmte Formulare müssen entweder bis 9, 10 oder 12 Uhr – je nach Markierung – im Sekretariat hinterlegt und die Klasse unter allen Umständen ruhig gehalten werden. Und in dieser Klasse brodelt es: Probleme im Elternhaus, soziale Spannungen, Rassismus und eine gewisse Hoffnungslosigkeit spricht aus den Zeilen dieser jungen Menschen. Sie alle wachsen einem, früher oder später, ans Herz.

Ihre Herausforderungen, Siege und Niederlagen sind beeindruckend zu verfolgen, auch wenn wir sie nur in ihren kurzen Fragmenten kennenlernen. Wirklich unheimlich gelungen.

„Die Abwärtstreppe rauf“ ist ein Buch, das im besten Sinne lustig ist, sich absolut zeitgemäß liest, interessiert und wütend macht und völlig resistent ist gegen Leseflauten („Ach komm, dieser eine kleine Text geht schon noch. Huch, was ist da nun wieder passiert? Na gut, den nächsten Schnipsel les’ ich auch fix noch, was soll’s?!“).

Großartig ist außerdem, dass auch die Übersetzerin ein kurzes Nachwort für diesen besonderen Text liefert. Zu oft wird die Leistung von Übersetzer*innen nur wenig gewürdigt. Auch ich spare aus Platzgründen immer wieder an Nennungen. Aber gerade bei diesem Werk, mit so vielen sprachlichen Besonderheiten und Kniffen, war es spannend einen Einblick in die Arbeit hinter den Kulissen zu bekommen und den vorliegenden Text in seinen Details noch mehr schätzen zu können.

 

„Die Abwärstreppe rauf“ von Bel Kaufmann, übersetzt von Alexandra Berlina, erschienen bei der Frankfurter Verlagsanstalt, 448 Seiten. Werbung: Wenn du mich unterstützen möchtest, kannst du das Buch (oder beliebige andere) über meine Partner genialokal, Hugendubel, Bücher.de kaufen.

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