Rezension: Drei Söhne von Helen Garner


In “Drei Söhne” berichtet Helen Garner von einem Verbrechen, das die australische Öffentlichkeit jahrelang spaltete. Dieser wahre Fall scheint so makaber und verworren, wie ein schlechter Film und auch nach vielen Jahren mit dutzenden Prozesstagen bleiben Teile des Geschehens im Dunkeln. Am Vatertag des Jahres 2005 gerät Robert Faquharson mit seinem Auto von der Straße ab, der Wagen mit seinen drei kleinen Söhnen an Bord stürzt in einen Baggersee. Faquharson selbst kann sich retten, seine Söhne ertrinken. Was nach einer schrecklichen Tragödie klingt, gerät schnell in den Verdacht ein furchtbarer Mord zu sein: der Mord eines Vaters an seinen Kindern.

“Kleine Jungs! Wie können solche wilden, lebendigen Geschöpfe überhaupt sterben? Wie kann diese vergnügte Zauberhaftigkeit für immer ausgelöscht werden?”

Helen Garner ist sonst für ihre gefühlvollen Erzählungen und Kurzgeschichten bekannt, in “Drei Söhne” schafft sie es auch die enervierenden und langatmigen Teile eines Gerichtsprozesses mit viel Gefühl und Gespür für die Konflikte dieses Falles zu beschreiben. Vor allem die Tatsache, dass Faquharson als einziger “Zeuge” des Unfalls war und dennoch nichts aussagt beziehungsweise behauptet wegen einer Ohnmacht nichts sagen zu können, beleuchtet die Autorin von verschiedenen Seiten. So zweifeln wir mit ihr und bekommen eine Ahnung von unglaublich heiklen Situation des Falles.

Als reiner Indizienprozess geführt, werden die Verhandlungen von den Berichten der Sachverständigen dominiert. Zusätzlich kommen aber auch Personen zu Wort, die Faquharsons Charakter und seine teils belastenden Aussagen wiedergeben können. Toll gelungen ist es, wie Helen Garner diese Abschnitte auf die wesentlichen Fakten reduziert und sich sonst hauptsächlich mit der Wirkung der Aussagen und ihrer Bedeutung für den Fall beschäftigt. Da ihren Beschreibungen nach vor allem die Darstellungen über Vermessungen der Polizei etliche Tage in Anspruch nahmen, bin ich über diese gelungene Zusammenfassung wirklich dankbar.

Besonders begeistert hat mich außerdem, wie es die Autorin schafft ihre eigenen Überlegungen und Zweifel ganz natürlich in die Prozessbeschreibungen einzuweben. Diese Abschnitte sind sprachlich wunderschön, mitreißend und geben ein ganz eigenes Gefühl für diesen Fall und seine zentralen Fragen.

“Jeder weiß, dass die Erinnerung nicht einfach ein jederzeit zugängliches Dokument ist, dessen Inhalt von einem Öffnen zum nächsten genau gleich bleibt. Erinnerung ist ein stetiger, lebenslanger Prozess, fließend, lebhaft und mysteriös.”

Dadurch war für mich die Lektüre keineswegs trocken und langatmig, sondern lebendig und mitreißend. Seite um Seite stellte ich mir selbst eben jene Fragen: kann ein Vater seinen Söhnen so etwas antun? Kann oder will er sich nicht erinnern?

Ich glaube, dass dieses Buch nicht für alle Leser gleich gut geeignet ist: ich selbst bin interessiert an “True Crime” und den dargestellten Details des Prozesses, auch das Urteil erwartete ich mit einiger Spannung. Für mich 5 von 5 Leseratten. Trotz aller Fokussierung auf das Wesentliche, wird es aber Leser geben denen die Details zu langatmig sind oder die mit dem schlichten Ende nicht glücklich werden. Anders als in Romanen, kann das echte Leben nämlich nicht immer eine Moral in der Geschichte bieten.

“Drei Söhne – ein Mordprozess” von Helen Garner, übersetzt von Lisa Falkner, erschienen im Berlin Verlag, 351 Seiten, 20,00 € (Hardcover)

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