Rezension: Das geträumte Land von Imbolo Mbue


Die Vereinigten Staaten von Amerika gelten als das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, ein Land in dem jeder Mensch alles erreichen kann. In “Das geträumte Land” von Imbolo Mbue ist es eben jenes Amerika, das sich die kamerunische Einwandererfamilie Jonga als Ziel ihrer Sehnsüchte ausgesucht hat. Das junge Paar sehnt sich fort aus der Armut und Eingeschränktheit seiner afrikanischen Heimat, hin in ein Land das ihnen alle Chancen bietet. Zuerst scheint das im Roman auch ganz wunderbar zu funktionieren. Durch Kontakte bekommt Jende Jonga einen Job als Chauffeur des wohlhabenden Investmentbankers Mr. Edwards. Das Gehalt ist gut und auch Jendes Frau kann in der Familie des neuen Arbeitgebers eine Anstellung finden. Doch die harte Realität holt beide Familien ein: durch die Finanzkrise wird sowohl das Leben der mittellosen Jongas als auch der einflussreichen Familie Edwards gehörig durchgeschüttelt.

“Das geträumte Land” ist ein wunderbar warmherziges Buch, aber keins das kitschig und seicht das Märchen der unbegrenzten Möglichkeiten weitererzählt. Vielmehr zeigt es die Einwanderernation Amerika von ihrer schönsten und härtesten Seite. Es wird thematisiert wie schwer der Kampf ums (Über)leben in einer solchen Gesellschaft ist, trotz all der Chancen und Möglichkeiten. Es war spannend, unterhaltsam und auch deprimierend den Werdegang der Familie Jonga zu verfolgen. Man fiebert mit ihnen, hofft und träumt, sieht aber auch einige Träume zerplatzen.
Denn im Buch wird immer wieder die Frage nach Identität und Heimat gestellt. Das Ankommen in einem neuen Land ist nicht einfach nur Arbeit und Unterkunft, sondern auch die Frage nach Perspektiven und Zugehörigkeit. Diese Themen wurden von der Autorin geschickt in die Handlung eingewoben und wiederholt in den Fokus gerückt. Vor allem der Kontrast zwischen den Jongas und ihren afrikanischen Freunden einerseits und der Familie Edwards mit ihren wohlhabenden, amerikanischen Freunden andererseits hat mir gut gefallen. Immer wieder treffen die Familien sehr unterschiedliche, aber auch überraschend ähnliche Probleme und Konflikte.

Im Buch wird schön mit Sprache gespielt. Vor allem die radebrechene Sprache der Jongas, die teils unfreiwillig komisch aber gleichzeitig auch oft sehr ernst und passend wirkt, hat es mir angetan. Sie wurde genau richtig wiedergegeben und trägt auch schön zur Charakterisierung der Figuren bei. Außerdem werden immer wieder afrikanische Begriffe in ihre Dialoge eingewoben, deren Bedeutung nicht erklärt wird, die sich aber doch irgendwie ergeben und verstanden werden. Eben so, wie sich die Jongas auch einfach so in ihrer neuen Heimat zurechtfinden müssen.

Mich hat es überzeugt wie ausgewogen und facettenreich die Autorin auf alle Aspekte der Handlung eingeht. Statt einfach “schwarz” und “weiß” gibt es viele feine Abstufungen. Das ist mir besonders bei den Figuren eines Romans sehr wichtig und hier besonders gut gelungen. Das tröstet mich auch darüber hinweg, dass ich einige Entwicklungen im Roman nicht zu Einhundertprozent nachvollziehbar finde und sie mir etwas extrem für den jeweiligen Charakter schienen. Für mich daher gerade noch 5 von 5 Leseratten.

“Das geträumte Land” von Imbolo Mbue, übersetzt von Maria Hummitzsch, erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag, 422 Seiten, 22,00 € (Hardcover)

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