Rezension: Die Kapitel meines Herzens von Catherine Lowell


Natürlich lese ich in der Regel keine Bücher, von denen ich glaube, dass sie mir überhaupt nicht gefallen werden. Und natürlich habe ich mich auch für “Die Kapitel meines Herzens” von Catherine Lowell wegen des literarischen Themas schon vorab ein bisschen begeistert. Trotzdem muss ich zugeben, dass meine Erwartungen nicht sonderlich hoch waren. Umso mehr freut es mich, dass sie mehrfach übertroffen wurden und mich dieses Buch so toll unterhalten hat.

Es geht um Samantha, die letzte Nachfahrin der berühmten Brontë-Schwestern. Nach dem Tod ihres Vaters sieht sie sich mit einem seltsamen Nachlass konfrontiert und soll sich das erste Mal allein ihrer Familiengeschichte stellen. Dafür muss sie sich gleichzeitig mit der literarische Biografie der Brontës auseinandersetzen, für eine junge Literaturstudentin eigentlich die leichteste Übung? Das sollte es sein, aber ihr attraktiver Literaturprofessor und einige unangenehme Zeitgenossen aus der Vergangenheit ihres Vaters lenken Samantha doch gehörig ab.

Ich weiß nicht genau in welche literarische Schublade ich “Die Kapitel meines Herzens” stopfen kann. Es ist einer dieser wirklich gemütlichen “Frauenromane”, aber ohne die üblichen Klischees zur weiblichen Hauptfigur: Samantha ist weder umwerfend schön, noch naiv und zart. Sie ist sozial etwas unbeholfen, aber nicht auf mädchenhaft-niedliche Art, sondern rüpelig und fast ein bisschen trampelig. Bei den Dialogen im Buch bekommt sie eine patzige und irgendwie nervige Stimme, wirkt aber auch charmant und liebenswert.
Auch der Liebesroman-Faktor in diesem Buch ist angenehm niedrig. Ja, da gibt es eine kleine Romanze (und einen völlig überflüssigen zweiten Mann, der aus dem Roman entfernt werden könnte, ohne etwas Entscheidendes zu verändern) aber die ist nicht leidenschaftlich und knisternd, keiner hüpft auf rosa Wolken.

Stattdessen wird viel über Literaturverständnis und speziell die Bücher der Brontës gesprochen. Es wird darüber gestritten, ob Romane metaphorisch oder wortwörtlich zu verstehen sind und woran man das wohl erkennt? Es geht außerdem darum, warum besonders Frauen sich mit Kunst und Literatur beschäftigten und welche Aspekte ihres Lebens darin verarbeitet wurden. Besonders diese Abschnitte über das Lesen und die Werke der Brontës haben mir unheimlich gut gefallen.

“Lesen lehrt einen, Mut aufzubringen. Der Autor versucht, den Leser davon zu überzeugen, dass etwas Fiktives real ist. Es ist eine lächerliche Forderung, und sie stellt die geistige Gesundheit des Lesers in Frage.”

Gerade durch die Bezüge zu den real existierenden Romanen der Brontës fiel es mir leicht, mich Hals über Kopf in diese Fiktion zu stürzen. Ich habe der Autorin gern meine geistige Gesundheit überantwortet. Das hängt aber auch damit zusammen, dass der Stil des Buches sich besonders bei den Abschnitten über die Literatur durch eine sehr farbige und irgendwie “kuschelige” Sprache auszeichnet. Alles ist mit ausreichend Details beschrieben, aber trotzdem nicht umständlich oder langatmig.

“Die Kapitel meines Herzens” ist keine große Weltliteratur, aber ein Buch das doch viel mehr zu bieten hat, als Cover und Klappentext vermuten lassen. Wohlfühllektüre für den Herbst, aber auch eine Verführung sich mit vielen großen Klassikern noch einmal neu zu beschäftigen.

Das Buch in einem Tweet:

 

“Die Kapitel meines Herzens” von Catherine Lowell, übersetzt von Gaby Wurster, erschienen im Atlantik Verlag, 352 Seiten, 15,00 € (Klappbroschur)

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