Rezension: Elly von Maike Wetzel
In “Elly” von Maike Wetzel passiert einer Familie das Schlimmste, was passieren kann. Ein Kind verschwindet.
Elly ist mit dem Fahrrad auf dem Weg zum Sport, kommt dort aber nie an. Die Suche bleibt Erfolglos, keine Spur des 11jährigen Mädchens ist zu finden.
Dann, vier Jahre später, taucht ein Mädchen auf. Abgemagert, sprachlos, verängstigt. Die Familie kann ihr Glück kaum fassen, sie scheinen die verlorene Tochter und Schwester endlich wiederbekommen zu haben. Zweifel an der Identität des Mädchens werden verdrängt, zu groß ist das Glück über diesen Fund.
“Elly” ist ein Roman, der mich kaum noch los lässt. Es geht um eine Erfahrung, die eine ganze Familie zerfrisst. Von einer einst glücklichen Familie ist nach diesem einen Moment nichts mehr übrig. Unwissenheit, Schuldgefühle und Angst beißen sich in die Gedanken, sowohl der Eltern als auch Ellys großer Schwester.
Der Roman ist in den Kapiteln wechselnd aus der Sicht der Eltern, der Schwester, einer Freundin der Schwester und der “wiedergefundenen Elly” erzählt. Jeder kreist da ein wenig um seine eigenen Probleme, trotzdem erkennt man in der Beschreibung des Einen, welche Last auch die jeweils anderen Familienmitglieder tragen.
Der Einstieg in diesen Roman ist wirklich genial. Die Atmosphäre ist irgendwie bedrückend, man spürt sofort “irgendwas stimmt da nicht”, tastet sich langsam aber sicher im Nebel dieser Geschichte voran.
Ich wurde mehrmals gewarnt, dass die Geschichte dann im Verlauf der Handlung diese Qualität verliert, das Ende sei schließlich “ganz schlimm”. Vielleicht liegt es an meinen dadurch wirklich niedrigen Erwartungen, aber ganz so schlimm habe ich es nicht empfunden.
Tatsächlich bewegt sich der Roman etwa ab der Hälfte weg vom wunderbar mysteriösen hin zu immer konkreteren Schilderungen des Geschehens.
Was für meinen Geschmack jedoch bis zum Ende gelungen ist: das Spiel zwischen Wissen und “nicht Wissen wollen” der handelnden Figuren. Jeder hat Wahrheiten über sich und die Familie vor Augen, die er einfach nicht wahrhaben möchte. Über das was Elly geschah, über die Situation der Liebe und Familie. Das finde ich psychologisch extrem interessant.
Und auch die kleinsten Teile der Handlung sind einfach spannend. So zwingt die große Schwester ihre Freundin die Rolle der verlorenen Schwester zu übernehmen, so groß ist ihre Sehnsucht. Der eigentlich unbewegt wirkende Vater leidet innerlich extrem. Die Mutter verzieht sich im Nebel von Tabletten.
“Elly” ist ein Buch, das sich wirklich lohnt, das bewegt und auch nachdem man es beendet hat in den Gedanken kreist.
Ich selbst bin unschlüssig, ob es mir so gut gefällt, dass ganz zum Schluss die Geschichte tatsächlich aufgeklärt wurde. Ein offenes Ende hätte zum Thema vielleicht noch besser gepasst. Aber auch so bleibt viel unbegreifliches, ungesagtes in diesem Roman.
„Elly“ von Maike Wetzel, erschienen im Verlag Schöffling & Co, 152 Seiten
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