Rezension: Hör mir zu, auch wenn ich schweige von Abbie Greaves
Ich weiß noch genau, wie ich begann “Hör mir zu, auch wenn ich schweige” zu lesen. Ich kam spät abends nach einer Veranstaltung und ein, zwei Gläsern Sekt nach Hause. Weil ich jeden Abend noch kurz lese, wollte ich “nur fix ‘reinschauen” in das Buch, das da für mich in der Post lag. Eigentlich war ich viel zu müde aber ich nahm das Buch zur Hand, begann zu lesen und konnte nicht mehr aufhören. Ich war am nächsten Tag unfassbar müde (kann man das steigern?), aber ein Satz auf Seite 18 hatte mir das Herz gebrochen.
Ich war noch nie so allein. Ich war nicht einmal vor Maggie so allein, denn wie kann man wirklich wissen, was Alleinsein bedeutet, bevor man seine andere Hälfte gefunden hat?
Nach diesem Satz konnte ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Ich las in jeder freien Minute und weinte mit den Figuren. Ich lese nicht oft Liebesgeschichten und wenn doch, lassen sie mich meist kalt in ihrer Übertriebenheit. Aber dieses Buch hat mich voll erwischt und mir richtig, richtig gut gefallen.
Um was geht es?
Maggie und Frank. Frank und Maggie. Sie sind seit Jahrzehnten ein Paar. Sie haben alles erlebt, von strahlenden Tagen zu tiefster Dunkelheit. Doch dann geschieht etwas, was Frank die Sprache raubt. Ein halbes Jahr spricht er kein Wort mehr zu Maggie, sie leben miteinander aber still nebeneinander her. Bis Maggie die Stille nicht mehr aushält. Sie versucht sich umzubringen, es misslingt und sie liegt schließlich im Koma. Nun, am Bett seiner sprachlos gewordenen Frau, findet Frank seine Worte zurück.
Ich hoffe nur, du gibst mich auch nicht auf, Mags, wenn du hörst… warum ich nicht mehr geredet habe, was passiert ist, warum ich einfach abgetaucht bin. Bitte, Mags, bitte, lass es mich erklären.
Hast du die Taschentücher schon zur Hand? Ich weine wirklich selten bei Büchern, aber in diesem Buch wimmelt es von wunderschönen Sätzen die mir mitten ins Herz stachen. Die Geschichte der Liebe von Maggie und Frank ist so schön und simpel und fühlt sich einfach unglaublich echt an. Eine Liebesgeschichte zusammengesetzt aus kleinen Alltäglichkeiten und großen Gefühlen. Nicht die übertriebene Romanze zwischen dem Baseballstar und der Ballkönigin, sondern eine Beziehung die Jahre überdauert, Rückschläge erfährt, Arbeit kostet und den beiden doch so viel gibt.
Eine Beziehung endet im Schweigen
Es ist unglaublich bewegend diese Beziehung zu verfolgen und sich ständig zu fragen, an welchem Punkt sie so entgleist ist. Wie konnten die Beiden sich so verlieren? Das Thema der Sprachlosigkeit in einer so engen Beziehung ist wirklich faszinierend, ich habe viel darüber nachgedacht. Man stellt sich zwangsläufig Fragen über seine eigene Beziehung, über Offenheit und Liebe.
An einigen Tagen fühlt es sich an, als hätten wir jahrzehntelang einen tagtäglichen Tanz eingeübt, den wir blind beherrschten, jede Handlung, Entscheidung und Bewegung bis zur Perfektion geschliffen.
Es hängt ja auch immer ein bisschen davon ab, wie man sich in den Figuren einer Geschichte wiederfinden kann. Hier waren die Charaktere zwar nicht wahnsinnig ungewöhnlich, aber liebenswert und durch das Auf und Ab ihrer Beziehung kamen sie mir sehr nah. Maggie ist der lebhafte Wirbelwind, Frank der schüchterne Mann, der schon durch ihre Aufmerksamkeit schier überwältigt wird. Was mich gefreut hat, ist dass hinter diesen gewöhnlichen Konstellation später noch die eine oder andere überraschende Entwicklung wartet.
Insgesamt habe ich das Buch unglaublich gern gelesen. Immer wieder pausiert wegen der schönen Sätze, geweint, gelitten und mich ein bisschen in der Geschichte verloren.
Wir denken immer, Liebe würde ausreichen, doch manchmal stimmt das nicht, oder?
P.S. Bei diesem Buch macht definitiv eine Triggerwarnung Sinn, da doch sehr harte Themen angeschnitten werden. Die Trigger gibt es bei mir hier in weißer Schrift auf weißem Grund, markiert euch die nachfolgende Zeile um die möglichen Trigger zu sehen: Suizid, Selbstverletzung, Fehlgeburt, Tod, Vergewaltigung.
“Hör mir zu, auch wenn ich schweige” von Abbie Greaves, übersetzt von Pauline Kurbasik, erschienen im Fischer Verlag, 336 Seiten
Foto im Beitrag: Alex Iby via Unsplash
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