Rezension: Die Detektive vom Bhoot-Basar von Deepa Anappara


Was macht ein gutes Buch aus? Seit Tagen überlege ich, wie ich “Die Detektive vom Bhoot-Basar” von Deepa Anappara hier vorstellen kann, damit ohne jeden Zweifel klar wird, dass es ein gutes, ein wirklich kluges Buch ist. Es folgt eine längere Rezension als ich sie üblicherweise schreibe. Weil das Buch so wahnsinnig viele Facetten hat, über die ich unbedingt sprechen muss!

Die Geschichte spielt in Indien, in einem Stadtteil der einfachen Leute. Plötzlich verschwinden dort beinahe täglich Kinder spurlos. Die Polizei schenkt den verzweifelten Familien jedoch kein Gehör und niemand scheint sich wirklich zu bemühen ihr Verschwinden aufzuklären. Deshalb beginnt Jai, Mitschüler eines der verschwundenen Jungen und selbsternannter Detektiv, zusammen mit seiner Freundin Pari und seinem Freund Faiz auf eigene Faust zu Ermitteln.

“Ich bin der Einzige, der da was tun kann. Ich kann Bahadur finden, weil ich schon Hunderte von Sendungen im Fernsehen gesehen habe und haargenau weiß, wie ein Detektiv wie Byomkesh Bakshi böse Menschen fängt, die Kinder, Gold, Frauen und Diamanten stehlen.”

Obwohl das niedlich und beschaulich klingt, beruht die Geschichte auf einem wahren Kriminalfall und wird damit schnell doch sehr erschreckend. Die Gleichgültigkeit, mit der die öffentlichen Stellen auf die vermissten Kinder reagieren, hat mich wirklich schockiert.
Zusätzlich werden die sozialen Probleme im Viertel, religiöse Spannungen, Korruption und Gewalt thematisiert. Ganz fließend werden diese Themen in die Handlung eingewoben, wobei man nie mit trockenen Erläuterungen von der eigentlichen Geschichte abgehalten wird. Trotzdem hat man am Ende eine ganz neue Sicht auf die Situation und Probleme des Landes.

Besonders toll gelungen ist das bei den im Buch immer wieder in Frage gestellten Geschlechterrollen in der indischen Gesellschaft. Der kleine Jai hält sich lang für den Meisterdetektiv und Chef der Ermittlungen, obwohl er schnell einsehen muss, dass seine Freundin Pari um einiges schlauer und geschickter ist als er. Es sind unzählige kleine Szenen in denen dieser Widerspruch zwischen erwarteter und gelebter Rolle auffällt und zum schmunzeln bringt.

Die Autorin selbst ist im südindischen Kerala aufgewachsen und arbeitete in Dehli und Mumbai als Journalistin, später studierte sie in England Creative Writing. Es ist ihr wichtig über ihr Land nicht mit den üblichen Klischees zu erzählen. Weder zeigt sie uns ein sehr reiches Bollywood-Indien noch die hoffnungslosen Slums. Das Viertel in dem die Handlung des Romans angesiedelt ist, gehört zwar zu den ärmeren Gebieten der Stadt, die Leute dort gehen aber einer geregelten Arbeit nach, haben Wasser und Strom. Das normale Leben von Menschen, die zwar nicht wohlhabend sind, aber ganz normale Hoffnungen und Träume haben, bildet den Rahmen dieser Geschichte.

In diesen Kontext passt es gut, dass die Autorin als weiteres wiederkehrendes Thema die Hoffnung der einfachen Leute auf sozialen Aufstieg im Roman aufgegriffen hat. Viele der Menschen im Viertel arbeiten für die wohlhabenderen “HiFi-Leute” im Nachbarviertel. Deren Einkommen und Lebensstandard zu erreichen ist ein Ziel, zu dessen Erfüllung vor allem immer wieder die notwendige Bildung thematisiert wird. Die Eltern im Viertel sind, neben den Sorgen um eine Mögliche Entführung, ständig bemüht ihre Kinder zu besseren schulischen Leistungen zu bewegen. Die Schule beziehungsweise deren Lehrer wiederum scheinen den Kindern völlig gleichgültig gegenüber zu stehen. Ein Thema das da zu Recht kritisiert wird.

“Wir sind nur Staubkörner in dieser Welt, leuchten einmal kurz in der Sonne auf, und dann verschwinden wir im Nichts. Du musst lernen, deinen Frieden damit zu machen.”

Zu Beginn macht es etwas Arbeit, sich in das Buch einzufinden. Es werden einfach doch sehr viele indische Begriffe im Text verwendet. Zwar steht ein umfangreiches Glossar zur Verfügung, ein paar Begriffe fehlen aber leider auch und man muss sich an die Ausdrücke natürlich auch erst mal gewöhnen. Ich verspreche aber, dass sich die Arbeit lohnt! Sobald man einmal in der Geschichte angekommen ist, macht sie unheimlich viel Spaß. Die Autorin hat eine völlig andere Art zu erzählen. Da gibt es Einschübe mit Geistergeschichten und Perspektivwechsel zu den verschwundenen Kindern. Die Beschreibung der Umgebung ist zwar sehr atmosphärisch aber nicht so kitschig wie in anderen Büchern, wenn über Indien geschrieben wird.

Auch die Erzählung aus Kindersicht ist der Autorin toll gelungen. Ich habe mit dieser Perspektive manchmal meine Probleme, wenn die Geschichte dann übertrieben naiv oder übertrieben erwachsen erzählt ist. Das ist hier zum Glück nicht der Fall. Man merkt, dass die Handlung zwischen Kindern und Jugendlichen spielt, wird aber nicht genervt von gewollt kindlicher Rhetorik. Besonders schön gelungen ist dieser schmale Grat bei der Hauptfigur Jai. Immer mal wieder denkt er darüber nach, ob die Kinder nicht doch von Dschinns entführt wurden. Nur um sich dann daran zu erinnern, dass er daran ja eigentlich gar nicht mehr glaubt. Nur sicherheitshalber müsse man das ausschließen, logisch!

Überhaupt sind die Figuren im Roman wahnsinnig spannend. Es gibt schüchterne und aufbrausende Jungs, Mädchen die mit ihrer gesellschaftlich zugewiesenen Rolle hadern und welche, die das nicht tun. Es gibt liebende Eltern und einige, die es nicht so genau nehmen mit ihrer Elternrolle. Eitle Prediger und einfache Ladenbesitzer auf dem Basar. Die Bandbreite der Figuren ist wirklich bewundernswert.
Auch die Hauptfiguren sind jede für sich aber auch in ihrer Kombination toll. Jai ist äußerst liebenswert, auch wenn er nicht der Meisterdetektiv ist, der er gerne wäre. Seine Freundin Pari ist sehr reif, klug und ihm immer mindestens einen Schritt voraus. Sein Freund Faiz, der als Muslim im Viertel keinen leichten Stand hat, ist äußerst humorvoll, ein bisschen eitel, ziemlich erwachsen und immer loyal. Dieses Grüppchen habe ich im Verlauf der Geschichte einfach sehr gern verfolgt.

Ein Motiv im Roman, welches immer wiederkehrt ist der Smog über dem Viertel. Die Umweltverschmutzung ist groß und an vielen Tagen trübt der Smog die Luft, raubt den Atem und die Sicht. Wie durch die immer wieder eingeworfenen Beschreibungen des Smogs sowohl etwas über die Stimmung im Viertel, als auch den Fortgang der Handlung erzählt wird, hat mich sehr begeistert. Ein i-Tüpfelchen, das diesen Roman zu etwas ganz besonderem macht.

“Wenn du als Kind stirbst, ist dein Leben dann ganz oder halb oder gar nichts?”

Insgesamt hat mich dieses Buch wirklich beeindruckt, gut unterhalten und zum nachdenken gebracht. Alles was ein gutes Buch für mich ausmacht! Es hat mich in der Geschichte in eine mir völlig unbekannte Lebensrealität entführt und es geschafft, dass das nicht exotisiert und mit platten Klischees passiert, sondern sich wirklich echt und normal anfühlt. Ein Buch für Fans von Kriminalromanen genau so wie für Menschen, die bewegende Lebensgeschichten aus fernen Ländern mögen. Ich hoffe wirklich, dass dieses Buch in der Masse der Neuerscheinungen nicht untergeht und viele begeisterte Leser*innen finden wird!

 

„Die Detektive vom Bhoot-Basar“ von Deepa Anappara, übersetzt von pociao und Roberteo de Hollanda, erschienen im Rowohlt Verlag, 389 Seiten

1 comment

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  1. 1
    Konstanze

    Das Buch klingt wirklich sehr, sehr gut! Ich muss mal die Augen aufhalten, ob meine Bibliothek das in den nächsten Wochen in den Bestand aufnimmt (oder im Zweifelsfall einen Anschaffungsvorschlag stellen). Ich hatte ja schon mal erzählt, dass ich mit indischen Autor.innen in der Regel gut zurechtkomme, auch wenn die Erzählweise manchmal gewöhnungsbedürftig ist. Grundsätzlich finde ich das Land mit all seinen Facetten wirklich faszinierend.

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