Len Howard und ihr Vogelhaus


Egal um was es geht, eigentlich muss einer weiblichen Hauptfigur so gut wie immer noch eine Romanze angedichtet werden. Völlig unerheblich was sie leistet oder anstrebt, das Glück ist erst perfekt, wenn sie einen Mann findet. Am Besten gründet sie dann gleich noch eine Familie. Und sie lebten glücklich bis ans Ende…

Abwegig? Leider nein. Selbst historische Frauenfiguren, über die nichts derartiges bekannt ist, bekommen in ihrer Biografie häufig noch eine Liebesgeschichte angedichtet. So zum Beispiel im Roman “Die Frau, die Sterne fing”, der die Geschichte der Astronomin Maria Mitchell erzählen will. Im Roman schmachtet die Astronomin plötzlich nach einem feschen Seefahrer, den es so in dieser Form nie gab.

Happy End ohne Romanze

Um so begeisterter war ich in “Das Vogelhaus” von Eva Meijer die Geschichte einer Frau zu lesen, die selbstständig ihren Träumen folgt. Ganz ohne Romanze. Einfach indem sie das tut, wofür sie brennt und ihr Leben genau so gestaltet, wie sie das möchte.

Der Roman handelt von Len Howard (geboren 1894, gestorben 1973), einer britischen Musikerin und Naturforscherin. Sie begann zunächst eine erfolgreiche Karriere in einem Londoner Orchester. Len Howard merkte aber mit den Jahren, dass dieses Leben in der Stadt, unter vielen Menschen aber mit kaum Kontakt zu Natur und Tieren sie nicht glücklich machten und zog nach East Sussex. Dort lebte sie in einem abgeschiedenen kleinen Haus (ihr später “Vogelhaus” genanntes Domizil) und begann mit der Beobachtung der Gartenvögel auf ihrem Grundstück. Hauptsächlich Meisen hatten es ihr angetan, aber auch Sperlinge und viele andere Wald- und Wiesenvögel scharten sich auf ihrem Anwesen.

Schnell entdeckte Len Howard, dass die Tiere nicht nur artspezifische spannende Verhaltensweisen haben, sondern auch einen individuellen Charakter und Fähigkeiten. Sie begann damit ihre Beobachtungen aufzuschreiben und in Naturzeitschriften zu veröffentlichen. Da die Vögel zur geduldigen und sanften Len immer zutraulicher wurden, lebte sie bald ganz mit ihnen zusammen. Sie kamen ins Haus, schliefen dort bei kalten Temperaturen und hatten auch vor der Forscherin kaum noch Scheu. Im Buch gibt es Abdrucke einiger weniger Fotografien, die mich wirklich beeindruckt haben. Obwohl Len Howard zum Teil eher belächelt wurde, leisteten ihre Beobachtungen einen wichtigen Beitrag zur Verhaltensforschung.

Verbindung von Fakten und Fiktion

Im Roman hat Eva Meijer die Geschichte dieser spannenden Frau frei und doch an den existierenden Fakten entlang erzählt. Sie schreibt aus Lens Perspektive, was natürlich die Ergänzung bestehender Quellen durch eigene Fiktion verlangt, schafft es aber, dass die Geschichte in sich authentisch und nicht verkitscht oder überfrachtet wirkt.

Das kommt unter anderem dadurch, dass im Wechsel zu den fiktionalen Teilen über Len Howard jeweils Kapitel aus ihren eigenen Büchern über ihre Vögel zu lesen sind. Die Autorin hat es toll geschafft den Ton dieser Kapitel in ihrer eigenen Erzählungen zu treffen, so dass das Buch eine wunderschöne Komposition ergibt.

Insgesamt entsteht so die Geschichte über eine ganz besondere Frau der Geschichte, ruhig und fast zärtlich erzählt. Eine Figur, in deren Ruhe, Geduld und Zufriedenheit sich wohl viele Menschen wiederfinden können. Zwar gibt es auch kleine Dramen und verpasste Gelegenheiten in Len Howards Leben, aber es ist der Mut und die Zuversicht, die bei mir nach dem Lesen am stärksten hängen geblieben ist.

Ein Buch, das ich mit Begeisterung selbst gelesen habe und jetzt zu Weihnachten gleich zwei Mal verschenkt habe. Weil es ein Stück Weltflucht in den aktuell angespannten Zeiten ist, das wirklich einfach gut tut. Die Beschreibungen von Len Howards Beobachtungen sind einfach gelebte Achtsamkeit und das Buch hat mir in einer stürmischen Zeit Ruhe gegeben, ohne zu langweilen.

 

„Das Vogelhaus“ von Eva Meijer, übersetzt von Hanni Ehlers, erschienen im btb Verlag, 312 Seiten. Werbung: Wenn du mich unterstützen möchtest, kannst du das Buch bei genialokal oder Hugendubel kaufen.

1 comment

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  1. 1
    Konstanze

    Das klingt wirklich nach einem sehr gutem Buch – der Titel ist gleich mal auf meiner Bibliotheks-Merkliste gelandet (für die Zeit nach der Pandemie oder wenn mein eReader mal wieder mit der Onleihe zurechtkommt). :)

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