Die anderen Amerikaner


Wenn du in deinem Sommerurlaub nur ein einziges Buch lesen willst, dann lies “Die Anderen” von Laila Lalami.

Der Roman erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die der Tod zurück in ihr Elternhaus ruft. Ihr Vater wird mitten in der Nacht überfahren, der Täter begeht Fahrerflucht. Um die Mutter in ihrer Trauer zu stützen und die Todesumstände des Vaters zu klären, reist Nora in ihren Heimatort in der kalifornischen Wüste. Dort trifft sie auf den Kleinstadtmuff, den sie einst zurückgelassen hat. Sie stößt auf Informationen, die ihren Vater in ein völlig neues Licht rücken, und auf die unschöne Seite des “amerikanischen Traums”.

“Unsere Familie war wie ein Teeservice aus dem Spendenladen – immer fehlte ein Teil.”

Eigentlich könnte das alles eine simple Familiengeschichte sein. Der Tod eines Elternteils bringt natürlich das Gefüge einer Familie durcheinander. Es ist ein Moment zum Innehalten, bestehende Rollen werden neu sortiert, das ist ganz normal.
Aber in “Die Anderen” bleibt es nicht dabei. Zwar scheint es sich zunächst um einen ganz alltäglichen, wenig dramatischen Verkehrsunfall zu handeln, aber stimmt das wirklich?

In diesem Roman liegt eine gewisse Spannung in der Luft. Schnell wird klar, dass hinter diesem Unfall doch noch mehr stecken könnte. Ich habe “Die Anderen” von Laila Lalami verschlungen. Da entwickelt sich eine derart spannende Handlung, dass ich das Buch kaum aus der Hand legen konnte.

Wie in einem Kriminalfall wird zunächst der Tod des Vaters ergründet. Daneben gibt es eine Liebesgeschichte (keine Angst, es wird nicht kitschig) und Stück für Stück wirft die Handlung auch immer spannendere moralische Fragen auf.

“Ich hatte in dieser Stadt früh gelernt, dass die Brutalität eines Mannes mit Namen Mohammed nur selten in Zweifel gezogen wurde, seine Menschlichkeit dagegen immer erst bewiesen werden musste.”

Es geht um Loyalität und darum wer “Die Anderen” eigentlich sind. Wem vertrauen wir und wer wird immer mit Misstrauen betrachtet? Wer wird mit Worten und Taten zu demjenigen gemacht, der irgendwo nicht dazugehört?

Der Roman zeigt ein spannendes Bild der amerikanischen Gesellschaft mit ihren verschiedenen Spannungsfeldern. Neben sozialen Ungerechtigkeiten, Perspektivlosigkeit, Beziehungen und Sucht ist Migration das Hauptmotiv des Romans. Schließlich ist Noras Vater aus Angst um sein Leben aus Marokko geflohen. Nur um dann in einem ruhigen Wüstenstädtchen ums Leben zu kommen. Es drängt sich die Frage auf, ob sein Tod wirklich ein Unfall war oder ob es sich vielleicht um ein Verbrechen aus Hass handelte.

“In diesem Moment musste ihm bewusst geworden sein, dass er um seiner Sicherheit willen zehntausend Kilometer von zu Hause fortgezogen war, nur um zu erleben, dass es für ihn auch hier keine Sicherheit gab.”

Besonders interessant ist dieser Aspekt der Migration im Hinblick auf den Handlungsort der Geschichte. Das Wüstengebiet im Südosten Kaliforniens wurde ursprünglich von der amerikanischen indigenen Bevölkerung bewohnt. Diese wurde von spanischen Einwanderern verdrängt. Welche wiederum von nordeuropäischen Einwanderern verdrängt wurden. Nun sind es ausgerechnet die Nachfahren dieser Migranten, die den amerikanischen Traum vor neuen Migranten zu bewahren versuchen. Ein deprimierender Gedanke.

Die Handlung von “Die Anderen” wird vielstimmig erzählt. In den vielen kurzen Kapiteln kommen verschiedene Perspektiven zu Wort. Manche wiederkehrend, manche nur ein oder zwei Mal. Jeder von Ihnen hat Geheimnisse vor den anderen.

Einige dieser Stimmen haben mich überrascht: zum Beispiel ist da eine Figur, die problematische Sprache zunächst reproduziert, aber dann zu Reflektieren beginnt.
Außerdem gibt es eine Figur, die mir meine eigenen Vorurteile beziehungsweise Erwartungen ins Gesicht geknallt hat. Vielleicht habe ich Details überlesen, aber mich hat es kalt erwischt, dass meine innere Standardeinstellung offensichtlich immer noch von weißen, männlichen Figuren ausgeht. Großartig, wenn diese Erwartungen dann krachend durchkreuzt werden!

Insgesamt ein spannendes, unterhaltsames und kluges Buch von einer großen amerikanischen Erzählerin. Ein moderner und bewegender Roman, den ich allen Leser*innen empfehlen möchte!

“Die Anderen” von Laila Lalami, übersetzt von Michaela Grabinger, erschienen im Kein & Aber Verlag, 430 Seiten. Werbung: Wenn du mich unterstützen möchtest, kannst du das Buch (oder beliebige andere) über meine Partner genialokal, Hugendubel, Bücher.de kaufen. Folge dafür einfach den Links, Danke!

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