Irgendwas mit Dunkel, Meer und Sog… oder Tod?


Ursprünglich wollte ich einen Beitrag über spannende Urlaubsbücher mit einem Handlungsort am Meer schreiben. Es sollte etwas humorvolles darüber werden, wie Trends bei solchen Themen zu Buchtiteln und Covern führen, die fast nicht mehr auseinander zu halten sind.

Dafür habe ich mir zwei aktuelle Bücher herausgesucht, die auf den ersten Blick super ähnlich sind. Beide haben mich aus unterschiedlichen Gründen zunächst sehr interessiert, dann aber leider doch enttäuscht.

Der Tod und das dunkle Meer

Von Stuart Turton habe ich bereits “Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle” gelesen und sehr geliebt. Sein erster Roman ist voll unerwarteter Wendungen und spannender Figuren. Klar, dass ich nun auch den Nachfolger “Der Tod und das dunkle Meer” lesen wollte.

Der Roman spielt 1634 auf einem Schiff der Ostindien Kompanie. Eine geplante Überfahrt von der Kolonie Batavia zurück nach Amsterdam steht unter keinem guten Stern. Bereits vor Beginn der Reise wird das Schiff im Hafen verflucht. Später geschehen diverse unheimliche Dinge an Bord. Zum Glück befindet sich neben Hexenjägern und Soldaten auch ein bekannter Ermittler unter den Passagieren, der bei der Suche nach dem Dämon helfen kann.

Ja, der Roman enthält überraschende Wendungen, Geheimnisse und Rätsel. Häufig ist alles ein bisschen anders als es scheint. Aber das Atemlose, der Wow-Effekt, der bei Evelyn Hardcastle für eine Gänsehaut nach der anderen sorgte, wollte sich hier einfach nicht so richtig einstellen.

Atmosphärisch ist der Roman dennoch schön gemacht. Die Begrifflichkeiten und Beschreibungen lassen Seefahrt-Feeling aufkommen. Auch mit den unappetitlichen Details.

“Alle denken, beim Segeln ginge es um Wind und Wellen. Aber das stimmt nicht. Beim Segeln geht es um die Mannschaft, und das heißt, es geht um Aberglauben und Hass.”

Aus dem Setting ergibt sich, wie bei Evelyn Hardcastle, ein abgeschlossenes Figuren-Ensemble. Zwar sind die Charaktere und ihre Konflikte auch diesmal spannend, doch wirken sie schon sehr überzeichnet. Sie sind wunderschön, stark, schlau oder durch und durch böse und verschlagen.

In diesem Zusammenhang sind mir besonders einige unschöne Klischees aufgefallen. Figuren mit körperlichen Behinderungen werden zunächst als böse und niederträchtig dargestellt. Dass das zum Teil zu den Verwirrspielen des Autors gehört, ist da nur ein kleiner Trost. Außerdem sind Vergewaltigungen beziehungsweise drohende Vergewaltigung als Plotpoint für mich einfach nicht okay. Sie haben die Story nicht weitergebracht. Um eine Figur besonders abscheulich zu zeichnen, hätte man auch andere Eigenschaften heranziehen können.

Eine kleine Sache noch

Zu einem Punkt habe ich dem Verlag außerdem bereits eine längere Mail geschrieben, möchte ihn aber hier ebenfalls noch erwähnen. Auf Seite 62 tritt eine Figur erstmals auf, die bzw. deren Bezeichnung, mich wirklich deprimiert hat. In der Geschichte ist der Erste Offizier Isaack Larme kleinwüchsig. Eigentlich könnte es so gut, cool und wichtig sein, dass eine Figur mit einer Behinderung zu den zentralen Figuren des Romans gehört.

Leider wird Larme jedoch direkt bei seinem ersten Auftritt und etliche Male danach (hätte ich ein eBook gelesen, hätte ich mir den Spaß gemacht und mal eine Wörtersuche drüber laufen lassen) als „Zwerg“ bezeichnet.

“Die lauteste Stimme gehörte einem Zwerg, der in Kniehosen und Weste dastand und die Namen auf der Passagierliste, die er in seiner Armbeuge hielt, förmlich ausspie.”

Ich möchte nicht noch mal das Thema aufmachen wie Larme zu Beginn dargestellt wird. Dass er und eine andere Figur, welche mit ihrem Hinken ebenfalls eine körperliche Behinderung symbolisiert, im Roman ziemlich böse und schaurig wirken sollen, hat der Autor wohl so gewollt. Das hat er Verlag nun mal nicht in der Hand.

Mit welchen Bezeichnungen eine Figur allerdings benannt wird, ist meiner Meinung nach schon eine Stellschraube, die genutzt werden kann. Zumal der Autor im Nachwort (unter „Eine Entschuldigung an die Geschichte und das Schifffahrtswesen“) darauf hinweist, dass er seinen Roman nicht als historischen Roman gelesen haben möchte. Er sagt explizit

„Die im Buch beschriebene Technologie ist sehr viel fortgeschrittener als sie das sein dürfte, genau wie manche Ansichten, die von den handelnden Personen vertreten werden, und auch die Art und Weise, wie sie sprechen.“

Unter diese sprachlichen Aspekte zähle ich auch solche verletzenden Begriffe. Das Argument ihn aus „historischer Korrektheit“ heraus genutzt zu haben, wäre damit vermutlich hinfällig. Vielleicht war sich die Übersetzerin der Problematik auch nicht bewusst. Die Übersetzung aus dem englischen „dwarfism“ legt „Zwerg“ vielleicht nahe, für mich als Betroffene liest sich das wirklich schlimm. Es stellt die Existenz kleinwüchsiger Menschen einem Fabelwesen gleich und aus dem Begriff leiten sich die häufigsten Beleidigungen ab, die man als Betroffene*r zu hören bekommt. Wirklich schade.

Es ist alles in allem vielleicht ein bisschen unfair den Roman mit dem wirklich unheimlich starken Vorgänger des Autors zu vergleichen. Aber auch ohne diesen direkten Vergleich stellte sich bei mir einfach nicht der selbe Sog ein. Die unschönen Klischees haben die Freude zusätzlich getrübt. Mit Abstrichen schon schön und spannend zu lesen, aber für mich keine große Entdeckung.

Der dunkle Sog des Meeres

Der Epilog lässt noch viel erhoffen: eine mysteriöse, unabhängige Frau bringt allein auf ihrem Segelboot ein Baby zur Welt. Was es mit der Frau und dem Kind auf sich hat, entwirrt sich dann im Verlaufe der Geschichte.

Aber weder wird es wirklich spannend, noch bekommen wir hier die Geschichte einer modernen Frauenfigur erzählt. Eher sind es ziemlich platte Klischees und Darstellungen von überholten Rollenerwartungen. Die 1950er haben angerufen und hätten gern ihr Weltbild zurück.

Zudem ist der Roman sprachlich kein besonderes Vergnügen. Ich liebe es eigentlich, wenn verschiedene Protagonisten auch in ihrer Sprache unterschieden werden können. Aber in diesem Roman hat es mich unbändig genervt, wie das umgesetzt wurde. Drei Phrasen (“mit Verlaub”, “wenn Sie verstehen was ich meine” und “Himmel, Arsch und Zwirn”) sind so fest ihren jeweiligen Figuren zugeordnet, dass es schon fast skurril wirkt.

Aber auch handwerklich finde ich den Roman irgendwie nicht sonderlich gelungen. Wenn zum Beispiel während eines Telefonats das Aussehen und die Gesten des Gegenübers beschrieben werden, frag ich mich wie das geht? Hat die Perspektivfigur hellseherische Fähigkeiten? Machen die da gerade doch eine Videokonferenz?! Es sind immer wieder kleine unlogische Details, die mich aus dem Lesefluss herausreißen.

Das ist aber auch nicht so schlimm, weil die düsteren Geheimnisse nicht so unerwartet und spannend sind, wie es immer angedeutet wird. Der Roman liest sich ganz nett weg. Aber weder fiebert man mit den (leider ziemlich unsympathischen) Figuren mit, noch halten deren Konflikte oder Entwicklungen viele Überraschungen bereit. Dafür werden sie ziemlich ausführlich charakterisiert.
Eventuell ist der Roman auch nur als Auftakt einer Reihe gedacht? Eine der Perspektivfiguren (ein Polizist) reist im Roman gerade erst in dem malerischen kanadischen Küstenort an. Da folgt vielleicht noch mehr und die handelnden Figuren werden deshalb in so epischer Breite beschrieben.

Wie bei meiner ersten Urlaubslektüre, hat mich auch in diesem Roman die Darstellung marginalisierter Menschen wirklich gestört. Gerade vor dem Hintergrund wie in Kanada in der Geschichte mit der indigenen Bevölkerung umgegangen wurde. Da sind einige Formulierungen und Darstellungen einfach nicht okay.

“Ich fahre immer vor den anderen raus, vor allem vor den I*! Die hätten Sie sehen sollen: Die I* sind erst um sechs rausgefahren! Wir haben nichts gegen die, aber das mit den Gezeiten haben die noch nie so richtig kapiert!”

Das ist nur ein Beispiel, die übrigen Dialoge klingen ähnlich abwertend und die genannten indigenen Fischer kommen selbst nur wenig zu Wort.

Meer oder weniger

Zwischenzeitlich lief dieser Beitrag für mich unter dem Titel „Meer, Mord & Marginalisierungen“. Das wäre für eine Überschrift wohl etwas viel. Dennoch ist mein Fazit nicht sonderlich positiv: Wer “Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle” von Stuart Turton noch nicht gelesen hat, sollte lieber dieses Buch mit in den Urlaub nehmen oder hier schauen, ob andere Urlaubstipps in Frage kommen.

Mein Versuch spannende Buchtipps im und am Meer zu entdecken, ist mehr oder weniger (höhö) gescheitert. Vielleicht habt ihr bessere Vorschläge zu diesem Thema? Ich würde mich freuen!

 

„Der Tod und das Dunkle Meer“ von Stuart Turton, übersetzt von Dorothee Merkel, erschienen im Klett-Cotta Verlag, 608 Seiten. Sowie „Der dunkle Sog des Meeres“ von Roxanne Bouchard, übersetzt von Frank Weigand, erschienen im Atrium Verlag, 310 Seiten. Werbung: Wenn du mich unterstützen möchtest, kannst du diese Bücher (oder beliebige andere) über meine Partner genialokal, Hugendubel, Bücher.de kaufen. Folge dafür einfach den Links, Danke!

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