Der Rauch des fernen Feuers


Im Jahr 2013 erschien Amy Waldmans erster Roman “Der amerikanische Architekt” und beschäftigte sich auf spannende Weise mit der Verwundung der amerikanischen Seele nach den Anschlägen vom 11. September 2001. In ihrem Gedankenexperiment ging die Autorin Fragen nach Schuld und Vergebung, Vorurteilen und Toleranz auf den Grund. Nun, acht Jahre später, ist ihr neuer Roman “Das ferne Feuer” erschienen. Er behandelt moralisch und ethisch ähnlich komplexe Fragen, wechselt aber die Perspektive. Diesmal ist Afghanistan das Zentrum der Handlung. Der Roman beschreibt die Verletzungen, die durch die amerikanischen Militäreinsätze und quasi-kolonialistische Bevormundung im Land entstanden sind.

Im Roman ist ausgerechnet ein Buch der Dreh- und Angelpunkt der Handlung. Dieser Teil ist unnötig umständlich zu erklären, aber lässt sich wohl kurz zusammenfassen: unsere Hauptfigur, Parvin, ist eine amerikanische Studentin und gerade ziellos auf der Suche nach sich selbst. Irgendwie aufregend und voll Sinn soll ihr Leben sein.

“Auch sie sehnte sich schon lange nach einem Leben, in dem sie nicht wusste, was als Nächstes kommen würde.”

Dann liest Parvin das Buch eines Arztes und “Wohltäters”. Er schreibt darüber, wie er sich in Afghanistan für den Bau einer Geburtsklinik eingesetzt hat. Rührselige Berichte über das entlegene Bergdorf, die Verzweiflung der Frauen und schließlich die unendliche Dankbarkeit der Menschen… man kennt das. Obwohl diese Beschreibungen vor Klischees triefen, ist Parvin in ihrer Naivität begeistert. Sie selbst wurde in Afghanistan geboren, ihre Eltern zogen mit ihr und der älteren Schwester aber ganz früh in die Vereinigten Staaten.

Parvin beschließt es ihrem berühmten Vorbild gleichzutun und nach Afghanistan zu reisen. Sie möchte das Dorf besuchen, welches der Autor beschreibt und sich in seiner Stiftung engagieren. Ein bisschen die Welt retten, das Land ihrer Familie kennenlernen, zu sich selbst finden. Ähnliche Erweckungsgeschichten kennt man von den “inspirierenden” Instagramstorys verschiedener Influencer.

Ritter in strahlender Rüstung

Um zu verstehen was im Buch passiert, sollten wir kurz darüber sprechen, was der White Savior Komplex ist. Dafür möchte ich euch den Beitrag “Instagram & der White Savior Komplex – alles für den guten Zweck?” von Fabienne Sand ans Herz legen (ihr findet sie bei Instagram unter @ffabae und es lohnt sich sehr ihr zu folgen!).

Sie beschreibt in ihrem Artikel das Wesen des White Savior Komplex folgendermaßen:

“Hilfsprojekte, Spendenaktionen und die oft diskutierte sogenannte „Entwicklungsarbeit“ folgen jedoch problematischen, postkolonialen Prinzipien. In der öffentlichen Darstellung sehen wir häufig weiße Menschen, gerne Personen des öffentlichen Lebens, die sich der Armut in der Welt annehmen, gleichzeitig zutiefst gerührt sind von der Dankbarkeit der Menschen vor Ort aber auch mit dem Schock über die dort zu beobachtenden Zustände nicht hinterm Berg halten.”

Es geht also um weiße Prominente (aber auch immer mehr Privatpersonen), die in afrikanische Länder reisen. Mit einerseits finanzieller Hilfe aber andererseits auch eurozentrischen Wertvorstellungen und einer großen Portion Selbstdarstellung im Gepäck. Solche Geschichten basieren auf der Annahme, dass diese Länder der westlichen Welt zivilisatorisch unterlegen sind und nicht nur wirtschaftliche Unterstützung, sondern Erziehung und Führung brauchen. Dass das problematisch ist und so eine aufgedrückte Hilfe schnell nach hinten losgehen kann, kann man sich leicht vorstellen.

Nun ist Afghanistan zwar kein Land in Afrika, aber es gibt strukturell durchaus Überschneidungen. Zum einen hat auch Afghanistan eine lange Kolonialgeschichte (Großbritannien versuchte jahrelang erfolglos Afghanistan vollständig unter Kolonialregierung zu stellen) zum anderen geht es darum, welche Kultur als “Standard” angesehen wird. Welche Kultur als erstrebenswert und „gut“ bewertet wird, welche in einer Erzählung das potenziell minderwertige, zu rettende darstellt.

Stimmen der Vernunft

Im Roman dringt diese Erkenntnis erst langsam zu Parvin durch. Ihre Vorstellung vom Land und der Kultur, aber auch von den Heldentaten des Autors auf dessen Spuren sie reist, scheinen ihr wahrer als die Realität. Egal wie widersprüchlich ihre Erlebnisse sind, sie ist stets bestrebt alles so zu deuten, dass ihr Weltbild intakt bleibt. Es ist bedrückend zu lesen, wie sie dabei die Dorfbewohner immer wieder ignoriert und deren Aussagen keinen Glauben schenkt.

Zwei starke Frauen sind es, die im Roman das Gegengewicht zu dieser Naivität bilden. Parvins Professorin am College und eine Ärztin, die sich in der afghanischen Geburtsklinik für die Versorgung der Frauen einsetzt.

“Professor Banerjee hielt es für mehr als fragwürdig, dass sich ein männlicher weißer Amerikaner, und sei es in bester Absicht, zum Sprachrohr ländlicher afghanischer Frauen aufschwang”

und weiter heißt es

“die zu den machtlosesten aller Frauen überhaupt gehörten, und dadurch genau die Machtverhältnisse untermauerte, die er angeblich in Frage stellen wollte.”

Damit beschreibt Amy Waldman einen der zentralen Knackpunkte der Geschichte und eben ein Motiv des White Savior Komplex. Die Tendenz sich als weißer Retter aufzuspielen. Statt Unterstützung und Hilfe zur Selbsthilfe, sollen westliche Prinzipien einfach anderen Ländern übergestülpt werden.

Es geht im Roman im Kleinen darum, wie eigennützig gute Taten sind. Wie schwer welches Leid wiegt und um die Integrität unserer Idole.
Im Großen geht es um Kolonialisierung, “gütige Herrscher” und, wie eben beschrieben, White Saviorism. Ein weiteres wichtiges Thema in “Das ferne Feuer” sind (gebrochene) Erwartungen und das nicht wahrhaben wollen unbequemer Wahrheiten.

Diese Themen werden von verschiedenen Perspektiven beleuchtet und spannend erzählt. Immer wieder scheint ganz klar wie “böse” und “gut” in der Erzählung verteilt sind. Und dann entwickelt sich alles doch anders. Zwar sind auch diese Wendungen manchmal absehbar (so etwa bei einem Zwischenfall in dem zwei “Attentäter” getötet werden), aber immer wichtig im Hinblick auf die Botschaft der Geschichte.
Ein Buch das kurzweilig erzählt ist und lang in den Gedanken nachklingt.

Starke Bilder

“Diese Selbsteinschätzung wurde jedoch schon bald von den Steinen durcheinandergerüttelt, mit denen die Straße übersät war.”

Alles strotzt in “Das ferne Feuer” von Symbolen und Metaphern. So ist es zum Beispiel die holprige Straße zum Dorf, die die schwierige Situation der afghanischen Bevölkerung und der amerikanischen Soldaten eindrücklich repräsentiert. Zunächst ist die Straße unberührt. Sie ist holprig und eng, nicht bequem aber seit Jahren ohne große Probleme benutzt. Sie mag für die Traditionen des Landes stehen.
Später wollen die amerikanischen Soldaten die Straße sanieren. Sie soll zu einem Zeichen des Fortschritts werden, ein weit sichtbares Symbol. Alles muss asphaltiert werden. Groß und nach amerikanischen Maßstäben “ordentlich” soll es sein. Dafür wird der Fels neben der engen Passage gesprengt. Was von der afghanischen Kultur vorher da war, ist nun unter Schutt und Steinen begraben. Auch die Konflikte in der Region werden dadurch nur schlimmer. Warum bekommt ein Dorf eine neue Straße, die übrigen aber nicht? Wollen die Dorfbewohner überhaupt eine neue Straße? Was Frieden und Wohlstand schaffen sollte, bringt nur Leid und Tod. Beiden Seiten.

Insgesamt ein Roman den ich gern gelesen habe und über den es sich gut diskutieren lässt. Vermutlich muss ich ihn noch mindestens zwei Mal lesen, um alle Facetten zu erfassen. Denn auch (gerade!) die Abschnitte über Feminismus und Selbstwirksamkeit der Frauen in der Geschichte, bietet Stoff für weitere lange Gespräche. Das mag ich an diesem Buch sehr.

Ich habe lediglich mit der Hauptfigur ein bisschen gehadert. Einerseits ist die Geschichte aus ihrer Perspektive erzählt ohne dass sie tief porträtiert und ihre Haltung ganz verständlich wird. Andererseits frage ich mich, warum Amy Waldmann Parvin eine afghanische Herkunft angedichtet hat? Das hat einmal vermutlich ganz praktische Gründe: so lässt sich glaubhaft die fehlende Sprachbarriere zwischen Parvin und den Bewohnern des Dorfes sowie ihre nicht eindeutig amerikanische Solidarität erklären. Parvin ist als kleines Kind mit ihren Eltern von Afghanistan nach Amerika ausgewandert. Sie ist keine Amerikanerin und doch sehr amerikanisch sozialisiert. In der Geschichte kommt es immer wieder zu Situationen in denen Parvins Mitgefühl keine eindeutige Position beziehen kann. Aber ist die Autorin ihrer Figur für diese Perspektive nah genug?

Zudem wirkt Parvin manchmal sehr unreflektiert. Sie reist zum Beispiel mit einem Gymnastikball und einer Yogamatte in Afghanistan an, was zu fast absurden, witzigen Situationen führt. Trotzdem ist es dann ihre erzählende Stimme, die immer wieder für Einordnungen sorgt und Kniffe der Handlung erklärt. Ihre Position im Roman ist genau so wichtig wie ambivalent.

 

„Das ferne Feuer“ von Amy Waldman, übersetzt von Brigitte Walitzek, erschienen im Schöffling Verlag, 496 Seiten. Werbung: Wenn du mich unterstützen möchtest, kannst du das Buch bei bei genialokal, Hugendubel oder Bücher.de bestellen.

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