Eine schwierige Mutter-Tochter-Beziehung


Mit „Die Tochter“ wurde ein erster Roman der koreanischen Autorin Kim Hye-Jin ins deutsche Übersetzt. Es bleibt hoffentlich nicht der Einzige, die Übersetzung ist Ki-Hyang Lee nämlich sehr gelungen!

Der Roman handelt vom Unverständnis zwischen einer Mutter und ihrer erwachsenen Tochter. Trotz verschiedener Lebensentwürfe und Generationen leben beide eigentlich in ganz ähnlichen Situationen:

Die Mutter schuftet als Zeitarbeiterin in einem Seniorenheim, pflegt die alten Menschen dort mit viel Hingabe, bekommt dafür aber nur wenig Lohn. Die Tochter arbeitet als befristet angestellte Dozentin an einer Universität und engagiert sich sehr. Trotzdem droht ihr die Entlassung. Beide werden mit wenig Einkommen abgespeist, ihr Einsatz weder gewürdigt noch gesehen. 

Wegen ihrer Geldprobleme sieht sich die Tochter genötigt zurück ins Haus der Mutter zu ziehen. Gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin. Doch das bringt die sowieso schon angespannte Beziehung zwischen Mutter und Tochter noch mehr unter Druck.

Denn obwohl sie sich so ähneln, wirft die Mutter ihrer Tochter diese Situation vor. Ihre eigenen Probleme hinterfragt sie nicht, bei ihrer Tochter wird hingegen alles in Kritik gezogen. Sie kann nicht verstehen, warum ihre Tochter sich keinen Mann suchen, Kinder bekommen und ein „geregeltes Leben“ führen will. 

Tiefe Konflikte

Es ist leider abzusehen: die lesbische Beziehung der Tochter ist der Mutter ein Dorn im Auge. Sie sieht darin die „Tugend“ ihrer Tochter gefährdet. Und da macht es überhaupt keinen Unterschied, dass die jungen Frauen bereits seit Jahren eine glückliche Beziehung führen. 

Der Stil des Romans ist super eingängig und lässt sich leicht lesen, die Konflikte erschließen sich sehr direkt. Gar nicht leicht auszuhalten, manchmal fast unangenehm, ist dennoch die Perspektive, die wir Leser*innen zwangsläufig einnehmen. Die Geschichte wird aus den inneren Monologen der Mutter erzählt; man ist in ihrem egoistischen Kopf gefangen. 

Wie ihre Gedanken ständig um sich selbst kreisen, hat mich teilweise richtig wütend gemacht. Selbst da, wo sie ihrer Tochter eindeutig Unrecht tut, und zum Beispiel die Liebesbeziehung der Tochter verurteilt, sieht sie sich als das arme Opfer.

Immer wieder versucht die Mutter ihre Tochter zu einem „normalen Leben“ zu drängen. Also zu einem, das ihre eigenen Erwartungen erfüllt. Gleichzeitig bleibt ja die Frage unausgesprochen, was es ihr selbst je brachte, all diese Erwartungen zu erfüllen.

 Ihr bereits verstorbener Ehemann wird als abwesend und kühl beschrieben, die Beziehung zur Tochter bröckelt schon lang. Wieso ist sie einerseits so unglücklich in ihrem Leben, will ihre eigene Tochter aber in die selbe Form pressen? 

Oberflächlich betrachtet dreht sich die Sorge der Mutter um den Ruf der Tochter, Lästereien der Nachbarn und ihre Nachteile am Arbeitsplatz. In meinen Augen wirkt das alles wie Vorwände, um sich nicht mit eigenen Ängsten und Problemen konfrontieren zu müssen. Wer wird sich um mich kümmern, wenn ich alt bin? Wohin steuert mein Leben noch?

Blasse Figuren

Obwohl „die Tochter“ für alle Charaktere so eine zentrale Figur ist, bleibt sie im Roman äußerst blass. Sie wird kaum herausgearbeitet, denn es geht nicht um ihren Charakter, sondern um die Reibungspunkte der Mutter an ihr. 

Auch die Partnerin der Tochter wird kaum je mit Namen angesprochen. Die Mutter nennt sie nur „das Mädchen“, bleibt kalt, unhöflich und distanziert gegenüber dieser jungen Frau. Diese wiederum nimmt trotzdem eine extrem tröstende und vermittelnde Rolle ein. Für eine Frau, die so herabgewürdigt wird, ist sie mir fast schon zu nett. 

Es darf eigentlich nicht sein, dass diskriminierten Menschen so oft die Rolle aufgenötigt wird, den Hass der anderen mit Geduld und Überlegenheit auszugleichen. Die Obamas haben versucht unter dem Motto „When they go low, we go high“ daraus eine Tugend zu machen. Aber gerade in Geschichten finde ich diese Position und die Erwartungen, die sie schürt, problematisch.

Als vierte zentrale Figur in der Geschichte dient übrigens Tsen, eine ältere Frau, die die Mutter täglich pflegt. Auch in Tsen sieht die Mutter Spiegelungen ihrer Tochter: sie war in früheren Jahren eine erfolgreiche, unabhängige Frau, beliebt und engagiert, ist aber nun im Alter einsam. 

Sie setzt sich für Tsen ein und schätzt deren Leistungen, was sie bei ihrer eigenen Tochter nicht schafft. Und doch blickt sie auf Tsen herab, verkennt dabei aber, dass es den anderen Alten im Altersheim ebenso geht. Obwohl sie von den anderen Pflegerinnen darauf hingewiesen wird, will sie dies nicht wahrhaben. 

Kurzes Fazit

Die Mutter „wurde geboren und aufgezogen in einer Kultur, in der man höflich die Augen verschließt und sich ruhig verhält“, das ist es was sie prägte. Auch wenn eine Ungerechtigkeit bei ihrer Arbeit sie irgendwann dazu bringt, endlich widersprechen zu wollen, lässt sie ihre Tochter diese Unterstützung lang vermissen. 

Der Roman hat mich gut unterhalten und gedanklich wirklich beschäftigt, aber ein Fazit fällt mir schwer. Möchte ich so viel Zeit in so einem intoleranten Kopf verbringen? Was sagen mir diese Perspektiven? Haben diese Positionen in der Mehrheitsgesellschaft nicht sowieso noch zu viel Raum? Ein Roman an dessen Figuren man sich reiben und über den man wunderbar diskutieren kann. 

 

P.S. Es gibt eine Szene vor einer Fabrik, in der die Mutter über die Vergeblichkeit bestimmter Arbeiten nachdenkt. Dabei findet sie zwei tote Zikaden. Diese kurze Szene hat mich an das Bilderbuch „Zikade“ des australischen Künstlers Shaun Tan erinnert. Ich weiß nicht ob das so gemeint war, aber das Symbol dieser Insekten und ihres mühsamen, kurzen Lebens fasst die bedrückende Atmosphäre der Geschichte irgendwie perfekt zusammen.

 

„Die Tochter“ von Kim Hye-Jin, übersetzt von Ki-Hyang Lee, erschienen im Hanser Literaturverlag, 176 Seiten. Werbung: Wenn du mich unterstützen möchtest, kannst du das Buch (oder beliebige andere) über meine Partner genialokal, Hugendubel, Bücher.de kaufen.

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