Die Nachricht von Doris Knecht


Selten passten für mich Cover und Inhalt eines Romans so wenig zusammen, wie bei “Die Nachricht” von Doris Knecht. Was da so beschaulich und vielleicht sogar ein bisschen angestaubt an einen 80er Jahre Heimatroman erinnert, behandelt eigentlich sehr aktuelle Themen.

In “Die Nachricht” geht es um den Hass, den (vor allem) Frauen im Internet erleben. Genauer gesagt geht es erst mal ganz konkret um den Hass, den Ruth erlebt. Nach dem Tod ihres Mannes vor vier Jahren lebt sie allein im gemeinsamen Haus und hat eigentlich genug damit zu tun ihr Leben neu zu ordnen. Als die erste Nachricht auf einem ihrer Social Media Accounts eingeht.

“Weisst du eigentlich von der Affäre deines prächtigen Ehemannes?”

Damit beginnt eine Welle von Schmähungen, Hass und Beleidigungen, die bis in Ruths alltägliches Leben hineinreicht.

Obwohl der Roman von einer ganz konkreten, sehr persönlichen Situation handelt, kommt man nicht umhin über Trolle und Hassnachrichten im Internet als Phänomen nachzudenken.
Als Frau, die sich regelmäßig im Internet äußert und dabei auch aktivistische und politische Themen anspricht, hatte auch ich schon Berührungen mit diesem Thema. Zwar habe ich zum Glück noch keine solch langwierige Attacke wie die Protagonistin erlebt, aber die Bedrohung fühlt sich real an.

Trolls just want to have fun

Es gibt keine offiziellen Zahlen, aber der Ton im Internet wird rauer und gerade Frauen (aber auch trans und nicht binäre, behinderte und anders marginalisierte Menschen) werden besonders häufig Opfer von dieser Form von Gewalt.

Was genau der Anreiz der Trolle ist, lässt sich nur mutmaßen. Laut diesem Artikel sind Trolle Alltags-Sadisten, die sich am Leid ihrer Opfer freuen. Sie leben ihre Zerstörungswut aus und haben häufig narzisstische Persönlichkeiten. Begünstigt wird ihr Treiben durch wegfallende natürliche Hemmungen im Internet. Trolle verstecken sich hinter ihrer Anonymität* und fühlen sich unverwundbar. Im Gegensatz zum direkten, persönlichen Konflikt (egal ob on- oder offline) müssen sie wenig Konsequenzen ihres Handelns fürchten.
Denn obwohl Projekte wie hassmelden.de versuchen diese Fälle juristisch aufarbeiten zu lassen, ist die Quote tatsächlicher Verurteilungen gering.

Im Roman erhält Ruth zunächst Nachrichten über das angebliche Doppelleben ihres Ehemannes, später Herabwürdigungen und Drohungen. Die Art der Nachrichten macht deutlich, dass sie kein x-beliebiges Opfer ist. Es scheint eine Beziehung zwischen ihr und dem Verfasser der Nachricht zu geben.

Von On- zu Offline

Wie hartnäckiges Unkraut nach und nach den schönsten Rasen einnimmt, nimmt der Troll auch Ruths Leben in Beschlag. Der Ton der Nachrichten wird immer drastischer, beleidigender. Bald bekommen auch ihre Freunde, Familie und selbst Geschäftspartner die üblen Verleumdungen zugesandt.
Die Bedrohung aus dem Internet greift über ins echte Leben. Ruth fühlt sich (oder ist?!) real bedroht. Schließt die Tür ein mal mehr ab als früher, schaut sich häufiger um. Die Anspannung, die Ruth erlebt, tropft förmlich aus den Seiten. Gerade durch die Alltäglichkeit der beschriebenen Situationen wirkt der ganze Roman sehr bedrückend. Ständig stellt sich die Frage: wie schnell könnte all das mir passieren?

“Ich hinterließ ein paar Likes, retweetete und kommentierte zustimmend, was ich, ich wusste es schon, bereuen würde, weil es die Internet-Trolle anlockte, die über mich herfallen würden, bis sie auf die Tweets einer anderen Frau stießen, die ihren traurigen Zorn auf Frauen noch stärker anfachte.”

In einem zweiten, wenn auch eng verwobenen, Pfad dreht sich der Roman um toxische Beziehungen. Es geht um narzisstische Menschen, die ihre Parnter*innen im unklaren über den Status der Beziehung lassen, Emotionen ignorieren und gaslighten.

Eine Gemeinsamkeit mit den Trollen ist: auch diese Menschen greifen das Selbstbild und die Wahrnehmung ihres Opfers massiv an. Wie kleine Nadeln bohren sich Zweifel in die Psyche der Opfer.
Auch dieses Thema wird in seiner alltäglichen Bösartigkeit super transportiert. Ich habe den Roman verschlungen. Er ist unheimlich spannend geschrieben, sehr mitreißend und nah verfasst. Obwohl man quasi nur Zuschauer dieser belastenden Situationen ist, macht das Buch etwas mit einem.

“Wie nett man sein müsste, wie nachgiebig, wie klein und gebeugt, damit der Sturm an einem vorbeizöge…”

Manchmal fällt es mir schwer bei Büchern mit derart unangenehmen Themen zu sagen “das habe ich gern gelesen”. Vielleicht trifft es “das war ein gutes, bewegendes Buch” eher. Ich glaube wir sollten diese Themen in den alltäglichen Diskurs bringen, um sie uns bewusst zu machen und gemeinsam gegen Hass und Hetze angehen zu können. Denn wie Sasha Lobo in seinem Artikel hier zusammenfasst, das beste Mittel gegen Trolle ist Solidarität!

* Grundsätzlich halte ich die Möglichkeit sich im Internet anonym zu äußern für äußerst wichtig und wertvoll. Sie erlaubt es Aktivist*innen und Marginalisierten eine Plattform zu finden, ohne Angst vor Repressalien haben zu müssen. Wie Absender derartiger Hassnachrichten juristisch gleichzeitig besser belangt werden können, ist für mich dennoch eine wichtige Frage.

 

“Die Nachricht” von Doris Knecht, erschienen im Hanser Literaturverlag, 252 Seiten. Werbung: Wenn du mich unterstützen möchtest, kannst du das Buch (oder beliebige andere) über meine Partner genialokal, Hugendubel, Bücher.de kaufen. Folge dafür einfach den Links, Danke!

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